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Zerstreute Landschaft

Das UM-Festival lädt zur Entdeckung von Literatur, Kunst und Musik in die Uckermark. Natur und Experiment werden eins

Techno­produzentin Pilocka Krach spielt auf einem Trecker Foto: Carolin Saage

Von Stephanie Grimm

Die Natur hat’s nicht leicht mit den achtlosen Menschen. Das interdisziplinäre UM Festival, das am Wochenende Kunst, Literatur und Musik in die uckermärkischen Dörfer Pinnow, Fergitz und die Siedlung Drei-Seen-Blick bringt, versucht es trotzdem mit leisem Optimismus.

Seit 2008 findet dort die „Uckermark Biennale“ statt. Coronabedingt verspätet, versucht man nun das Verhältnis von Mensch zur Natur anders abzubilden. „Über eine … ästhetische und emotional sinnliche Erfahrung“, heißt es in der Ankündigung. Be­su­che­r*in­nen müssen selbstständig im Gelände erkunden – nicht zuletzt, weil Hygienemaßnahmen ein dezentrales Konzept erzwangen. Das Festival-Motto „UMWege“ deutet an, ein Gutteil der Kunst wird in Wäldern und auf Feldern präsentiert, sie ist mit (Leih-)Rädern, zu Fuß erschließbar. Statt Konzerten, bei denen sich alle vor einer Bühne tummeln, findet Musik über den Tag verteilt an verschiedenen Locations statt. Sogar ein mobiles Soundsystem wird es geben: Technoproduzentin Pilocka Krach, die saftige Bässe mit Melodien kollidieren lässt, wird mit Landwirt Winnie auf einem Trecker unterwegs sein. Auch die Musiker des Ensembles Quillo werden inmitten der Landschaft spielen – und dabei ansprechbar fürs Publikum sein: experimentelle Klänge, mal in niedrigschwellig.

Kuratiert wird das Festival von Ute Koenig (Literatur), von der Musikerin Gudrun Gut, die den Berliner Untergrund über Jahrzehnte mitgeprägt hat, teils in der Uckermark lebt, und Harald F. Theiss (Bildende Kunst). Einige Exponate müssen dabei erst entdeckt werden, so sehr gehen sie in der Landschaft auf. Die Uckermark ist eine dem Auge schmeichelnde, für Brandenburger Verhältnisse fast romantisch anmutende Landschaft – nichts, was man als extrem wahrnimmt. Und doch haben Extreme diese Landschaft geformt: Ihre sanften Hügel sind bekanntermaßen entstanden durch Gletscherausläufer der letzten Eiszeit. Kein Wunder, entdeckte die Bildhauerin und Konzeptkünstlerin Lena von Goedeke bei ihrem ersten Aufenthalt in der Gegend Ähnlichkeiten zur Arktis, in der sie zuvor für einen Forschungsaufenthalt war. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit dem Landschaftswandel durch die Klimaerwärmung. Für die Installation „Tipping Point“ lässt sie Bretter aus Eis mithilfe von an Bäumen aufgehängten Schaukeln durch die Landschaft schwingen. Das in den Blöcken eingefrorene Bodensediment zeigt, wie langfristig das Eis diesen Ort modellierte – und wie schnell es tauen kann. An diesem vermutlich feuchten Augustwochenende werden die Bretter vermutlich nicht allzu alt werden und müssen regelmäßig erneuert werden – was das globale Klima ja leider nicht erlaubt

Spezifische Orte stehen auch im Fokus der Bücher, die in lauschigem Gartenambiente an insgesamt sechs Hörstationen vorgestellt werden. Einige An­woh­ne­r*in­nen öffnen dafür ihre Gärten. Beim Blick in den Himmel ist die Zu­hö­re­r*in eingeladen, gedanklich in die Ferne zu schweifen: Beirut, Banat oder Bad Regina, eine (fiktive) mysteriöse Geisterstadt. In David Schalkos gleichnamigen Gedankenspiel über den Untergang Europas war sie einst ein mondäner Kurort.

Wem in den letzten anderthalb Jahren weniger die Literatur als der Austausch darüber fehlte, sei ans Herz gelegt, auf jeden Fall am Samstag zu kommen. Da findet die Lesung nämlich live statt, nicht nur aus der Konserve. Unter anderen wird Caroline Rosales, bisher als Journalistin und Sachbuchautorin zu feministischen Themen bekannt, ihr literarisches Debüt „Das Leben keiner Frau“ vorstellen.

Auch wenn das Programm ein wenig verstreut ist: Gelegenheit zum Abhängen und Musikhören wird es trotzdem geben; schließlich lebt ein Festival vom Austausch, der solche Orte ermöglicht. Am Samstag etwa mit dem Albert Hofmann Soundsystem; hinter dem Alias sich verbirgt sich der Soundtüftler Martin Gretschmann. Am Tag darauf laden unter anderem die Techno-Gebrüder Teichmann, seit 20 Jahren Größe des Berliner Underground, zusammen mit ihrem Vater zum genera­tions­übergreifenden Nachmittagsprogramm: mit Blas-, Zupf- und Schlaginstrumente und massig Elektronik.

Da die Bahn ausgerechnet an diesem Wochenende für Ber­­li­ne­r*in­nen mit Baumaßnahmen die Anreise erschwert, gilt es, entsprechend zu planen. Schließlich ist der UMweg das Ziel.

28. & 29. August, 10–18/10–20 Uhr, um-festival.de

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