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Schutz und Hüllen für Menschen

Die Fotografin Ursula Schulz-Dornburg und der Architekt Francis Kéré zeigen in einer symbiotischen Doppelausstellung in der Architekturgalerie Aedes Schutz- und Versammlungsräume in Afrika und Asien

Campus der IT University, von Francis Kéré in Burkina Faso gebaut Foto: Jaime Herraiz for Kéré Architecture

Von Tom Mustroph

Aus Schilf gefügte Behausungen erheben sich über den Wasserspiegel. Zu erkennen ist die Grundstruktur, das Gerüst, das unter dem Schilf liegt – sei es, dass das Haus sich im Bau befand oder dass es dem Verfall preisgegeben war. Auf anderen Fotos sieht man Boote, die über die glänzende Wasseroberfläche gleiten. Die Bootskörper sind ähnlich geschwungen wie die Hausdächer.

Die Aufnahmen, die jetzt in der Galerie Aedes ausgestellt sind, stammen von 1980. Damals besuchte die Fotografin Ursula Schulz-Dornburg die sogenannten Marsch-Araber. Sie lebten im Sumpfgebiet zwischen Euphrat und Tigris, jener Gegend also, die als Zweistromland eine Wiege der Kultur der Menschheit war. Die weitläufige Landschaft, die das flüssige Element Wasser dem festen Element Erde aufgeprägt hatte, ist inzwischen fast verschwunden.

Das hat vor allem politische Gründe. Traditionell boten die Landschaft und die in ihr siedelnde Bevölkerung entlaufenen Sklaven Platz. In den Zeiten des Baath-Regimes unter Saddam Hussein fanden dort verfolgte Oppositionelle Zuflucht. Als Vergeltungsmaßnahme und mit der offiziellen Begründung, Land für Ackerbau zu gewinnen und Krankheiten einzudämmen, leiteten Saddams Behörden nach dem ersten Golfkrieg die Flüsse um. Die Gegend verwüstete, die Bevölkerung wurde umgesiedelt. Schulz-Dornburgs Aufnahmen zeigen eine Welt, die es so nicht mehr gibt.

Besser ist es um die reich verzierten Pfahlbauten der Bugi bestellt, einer Volksgruppe auf der indonesischen Insel Sulawesi. Auch hier prägt das Element Wasser die Lebensweise. Ebenfalls auf Sulawesi, allerdings im Bergland, siedeln die Toraja. Die Fotografin brachte von hier Aufnahmen von Felshöhlen mit, in denen Tote bestattet werden. Die Reisspeicher mit den geschwungenen Satteldächern hingegen dienen den Lebenden. Nicht nur, weil in ihnen Nahrung lagert. Vor den Reisspeichern versammelt sich die Bevölkerung zu Festen, zu traditionellen Events wie Hahnenkämpfen, aber auch zu Gerichtsverhandlungen.

Unter dem Palaverbaum

Damit wird bei Aedes ein Bogen zu einer Ausstellung des Architekten Francis Kéré gespannt. Seine Inspiration für Bauwerke holte sich der in Burkina Faso geborene und in Berlin zum Architekten gereifte Baukünstler vom sogenannten Palaverbaum, einem weit ausladenden Kapokbaum: In dessen Schatten versammelte sich die Bevölkerung, um im Konsensverfahren Entscheidungen zu treffen, die die gesamte Gemeinschaft betrafen. Palaverbaum – „Arbre à Palabres“ heißt die Ausstellung.

Verwandt mit dem Palaverbaum, vor allem, was die Versammlungsfunktion betrifft, ist die Toguna. Togunas sind rund, oval oder rechteckig. Sie befinden sich meist im Zentrum von Ansiedlungen. Charakteristisch ist für sie das niedrige Dach. Es sorgt dafür, dass sich Menschen in der Toguna nur gebückt, sitzend oder gehockt aufhalten. Die Demutshaltung soll bei der Moderation von Konflikten dazu beitragen, Aggressivität zu zügeln. Die Dachkonstruktion einer Toguna hängt als Installation von der Decke im Ausstellungsraum von Aedes herunter. Sie ist höher angebracht als im westafrikanischen Original, hat wegen der großen Deckenhöhe sogar sakralen Charakter.

Die Deckenelemente bestehen aus gerollten Schilfmatten – Berliner Baumärkte wurden für die Installation leergekauft, erzählt Galeriemitbetreiber Hans-Jürgen Commerell der taz. Kéré, der sein Büro in Berlin hat, rollte das Schilf fleißig mit. Das Material der Installation korrespondiert mit dem Schilf auf den Fotos der Marschlandbewohner von Ursula Schulz-Dornburg. In dem von ihr bespielten Ausstellungsraum befindet sich auch die Installation.

Tieferen Einblick in die Projekte Kérés offeriert der Nebenraum. Ideenskizzen, die das Thema von Hülle und Schutzraum vertiefen, sind auf transparenten, frei im Raum hängenden Folien aufgebracht. Auch detailliertere Zeichnungen gebauter Projekte befinden sich auf vertikalen Folien. Horizontal angebrachte Text- und Bildtafeln kontextualisieren die Projekte.

Kérés erster Schulbau, der seinen Durchbruch als Architekt einleitete, ist ebenso zu sehen wie Universitätsgebäude: das Burkina Institute of Technology und der Start Up Lions Campus in Kenia werden vorgestellt. Sie alle eint Kérés Aufmerksamkeit für die Hüllenfunktion, also die Gestaltung des Verhältnisses von innen und außen. Sonnenlicht, Schatten und Windzirkulation werden zum Temperaturmanagment genutzt. Kéré greift dabei auf tradierte Techniken und, wo es möglich ist, auf traditionelle und lokal verfügbare Baumaterialien zurück.

Zentrales Exponat ist ein Modell des neuen Parlamentsgebäudes der Republik Benin in Cotonou. Es ist mit seiner geschwungenen Trägerkonstruktion und dem darauf ruhenden, weit ausgreifenden Dach dem Palaverbaum nachempfunden.

Die neu ins Blickfeld rückenden Bauten Kérés und die von Schulz-Dornburg festgehaltenen „Verschwundenen Landschaften“ führen einen vielschichtigen Dialog miteinander, in dem es um das Bauen und die davon geprägten alten und neuen Lebensformen geht.

Bis 9. September, Aedes Architekturforum, Christinenstraße 18–19, Mitte, www.aedes-arc.de

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