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Wo ist der Kuchen am billigsten?

Relevante Informationen zirkulieren im Backstage-Bereich, wenn darstellende Künst­le­r*in­nen auf Berliner Wochenmärkten spielen

Von Tom Mustroph

Die Kunst und die Jahrmärkte waren sich einst ziemlich nah. An diese alte Verbindung knüpft jetzt das Programm „Solo Markt“ von Johanna Landscheidt und Lola Göller an. Beide sind Künstlerinnen und Kuratorinnen, Landscheidt hat durch Teilnahme an Sandskulptur-Wettbewerben sogar ganz besondere Outdoor-Erfahrung. Sie luden 14 verschiedene Künst­le­r*in­nen und Gruppen ein, auf Berliner Wochenmärkten aufzutreten. Den Anfang machte am Montag der Wochenmarkt in Friedrichshagen.

Zu Füßen einer Skulptur des Preußenkönigs Friedrich II., der in einer frühen Symbiose aus Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, sozialem Wohnungsbau und regionaler Entwicklung Friedrichshagen als Heimstätte für Textilarbeiter anlegen ließ, breitet jetzt das Punk-Puppentheater „Das Helmi“ sein Ensemble aus Schaumstoffpuppen aus. Gegeben wird „Der Schöne und das Biest“, eine gegengeschlechtlich besetzte Persiflage auf das Musical. Die Hexenrolle übernimmt eine Apothekerin; Szenen über das Warten in einem dieser lizenzierten Drogenverkaufsräume eröffnen diese absolut barrierefreie Show. Sogar eine Sequenz übers Piksen ist eingebaut. „Das Helmi“ wäre also impfkampagnengeeignet.

Allerdings zog, wie „Helmi“-Mitgründer Florian Loycke der taz erzählt, das selbstgemalte Apothekenlogo das Gesundheitsamt an. „Wir wurden gefragt, ob wir beabsichtigen, die Pillen zu verkaufen“, sagte Loycke. Für die Gesundheitsämter der nächsten Märkte sei angemerkt: Die Pillen gehören zur Show und werden bei jedem Gig wiederverwertet. Forsch wie das Gesundheitsamt waren auch die Zuschauer. Viele setzten sich auf die Bänke rings um die improvisierte Bühne. Zwischenrufe ertönten und wurden prompt in die Show integriert. Ein paar Be­woh­ne­r*in­nen des nahe gelegenen Altenheims parkten ihre Rollatoren in den hinteren Reihen. Einige Zu­schaue­r*in­nen warnten Loycke auch, dass die Mittagsruhe einzuhalten sei, sonst käme die Polizei. Andere gaben Tipps, wo in der Nähe der Kuchen am billigsten sei. Relevante Informationen zirkulierten also im Backstage-Bereich.

Anderen Künst­le­r*in­nen fiel es ebenso leicht, in Kontakt mit dem Marktpublikum zu treten. Julia Frankenberg etwa bot Eis in der Form der Paraurethraldrüse an. Dabei handelt es sich um eine Geschlechtsdrüse von Frauen, die gern auch als weibliche Prostata gebrandet wird. An deren kulinarischem Abbild kann mensch nun schlecken und sich in Geschlechterdiskurse verstricken lassen.

Extravagante Farbspiele liefert Bettina Scholz. Als Malerin operiert sie vornehmlich auf Leinwand mit Farbverläufen. „Während meines Studiums verdiente ich aber meinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Crepes auf Festivals. Jetzt verbinde ich beides“, erzählt sie, während sie mit roter und türkiser Lebensmittelfarbe sowie Ingredienzien wie Schokolade und roten Beeren süße Crepes auf der Pfanne anrichtet. Die spontanen Farbverläufe sind sehr dekorativ und würden sich auch im White Cube gut machen.

An weiteren Ständen kann man mit dem Musiker Sumugan Sivanesan eigene Songs schrei­ben. Carima Neusser und Carola Uehlken feiern unter dem Stichwort „Decay Matters“ Stadien des Verfalls alles Organischen – was vor einem Tiroler Fleischwarenstand einen ganz besonderen Reiz entwickelt.

Weitere Marktauftritte gibt es am Freitag auf dem Wochenmarkt Leopoldplatz und am Samstag auf dem Markt der Vielfalt auf dem Herrfurthplatz. Die dortigen Marktbetreiber können aus der Erfahrung des Friedrichshagener Kartoffelpufferbäckers lernen. Wegen des erhöhten Andrangs des kunstaffinen Publikums und längerer Verweildauer waren seine Vorräte bereits zwei Stunden vor Marktschluss aufgebraucht. Draußenkunst wird zum Wirtschaftsfaktor, echtes Marktleben also.

Solo Markt, 13. 8. auf dem Leopoldplatz, 14. 8. auf dem Herrfurthplatz

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