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Raus aus der Olympia-BlaseParty in Kabukicho

Der taz-Olympiareporter verlässt zum ersten Mal die Bubble und bummelt im Rotlichtviertel. Er staunt über das lockere Leben auf der Amüsiermeile.

Partyzone in Tokio-Kabukicho: Das Notstands-Gebot wird frei ausgelegt Foto: AP/Jae C. Hong

U m mein mit aller Kunst der Regeln eingeschränktes Leben im Auge behalten zu können, haben mich die Veranstalter ausgerechnet in einem 25-stöckigen Hotel in dem stadtbekannten Vergnügungsviertel Kabukicho untergebracht. Wenn es hier schon vor 19 Uhr dunkel wird, blinkt es in den Straßen in allen Farben. Die Häuserfassaden sind mit reichlich Neonreklame versehen. Das Rotlichtgewerbe ist hier unter anderem angesiedelt.

Wer auf der Suche nach einer Spielhölle ist, muss auch nicht lange suchen. Wenn eine der automatischen Schiebetüren gerade einen Einblick in das Innere erlaubt, sieht man unzählige dieser Spielautomaten in langen Gassen nebeneinander aufgereiht. Und es gibt diese riesigen, für das europäische Auge skurril anmutenden Läden, in denen man versuchen kann, mit Greifarmen Plüschtiere von zumindest strittiger Schönheit zu ergattern.

Meine Blase hat sich geweitet. Nach 14 Tagen in der Stadt darf ich nun ohne Sicherheitsmann einkaufen und meine eigenen Wege etwa mit öffentlichen Verkehrsmitteln wählen. Das hat den Vorteil, dass Fahrten zu olympischen Arenen eine dreiviertel Stunde statt zweieinhalb Stunden dauern, weil ich im strengen Blasenkonzept immer erst einmal den zentralen Medienbusbahnhof als Umsteigestation ansteuern musste. Voraussetzung für diese Freiheiten ist, dass meine Wege immer mit meiner olympischen Berichterstattung zu tun haben müssen, und das ist ja hier nachweislich der Fall.

Hier brummt das Leben

Gerade ist für Tokio der Notstand erneut verlängert worden. Bars und Restaurants dürfen keinen Alkohol ausschenken und müssen um 20 Uhr schließen. Irgendwie scheint sich der japanische Begriff für Notstand nicht so eins zu eins ins Deutsche übertragen zu lassen. Oder man kennt dieses Wort in Kabukicho überhaupt nicht. Besser gesagt: Man will es gar nicht kennenlernen. Denn hier brummt das Leben.

Ein vor allem junges Publikum zieht hier um die Häuser, auf den Straßen versuchen engagierte Hilfskräfte Kundschaft für einen Klubbesuch anzuwerben. Und schaut man in die Fenster der unzähligen Bars hinein, erblickt man nur selten mal einen freien Platz. Auf den kleinen Tischen stehen überall Biergläser und andere alkoholische Getränke. Diejenigen, denen das zu teuer ist, versorgen sich in den Supermärkten und quatschen auf den Straßen. Das Leben pulsiert hier besonders intensiv.

In einem dieser Restaurants ist auch ein TV-Bildschirm installiert, auf dem die Leichtathletikwettbewerbe des Abends auf der Langstrecke zu sehen sind. Aber niemand schaut hin, wie sich die Läuferinnen und Läufer aus aller Welt gerade ihre Seele aus dem Leib rennen. Nur etwa drei Kilometer, eine halbe Stunde Fußweg, ist das Olympiastadion von hier entfernt. Es sind jedoch zwei Sphären, die an diesem Abend kaum weiter voneinander entfernt liegen könnten. Die olympischen Spiele sind hier nur Kulisse für das ganz normale Leben im Notstand.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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