Bürgerforschung an der Uni Bremen: Alle dürfen forschen
Die Uni will ihre Forschung für Bürger*innen öffnen. In den Projekten geht es um Pflege, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Mobilität im Alter.
Partizipative Forschung, Bürgerforschung, Citizen Science: Das sind ein paar der vielen Namen für das, was in den vier Projekten gerade versucht wird. Keine neue Idee, denn schon 1900 zählten in den USA zu Weihnachten Menschen ohne ornithologischen Hintergrund Vögel. Aber eine mit Zukunft, findet das Bundesministerium für Wissenschaft und Technik und fördert die Projekte mit jeweils bis zu 600.000 Euro.
„Wir wollen Verständnis auf Augenhöhe“, sagt Sarah Göhmann vom Projekt „Ginger“. Es startet im Herbst und soll gesellschaftlichen Zusammenhalt erforschen. Die Idee sei, dass Menschen den gesamten Forschungsprozess mitmachen, auch wenn sie selbst nicht aus der Wissenschaft kommen. Im Falle von „Ginger“ sieht das so aus: Zunächst gibt es eine kurze Bewerbungsphase im Sommer, das Team verteilt Flyer und Plakate, spricht mit Jugend- und Quartiersvereinen in der Stadt, um interessierte Menschen zu finden.
Danach sollen in kleinen Workshops die Grundlagen der sozialwissenschaftlichen Forschung erlernt werden. Das sei aber möglichst unkompliziert gestaltet, sagt Göhmann: „Wir schmeißen den Leuten nicht Begriffe wie Reliabilität oder Validität an den Kopf, sondern arbeiten aus ihrer Erfahrung heraus.“
Die Wissenschaftler*innen helfen dann den Bürger*innen bei der Umsetzung ihrer eigenen Forschung – in ihrer Nachbarschaft zum Beispiel oder im Fußballverein. Wie sie sich einbringen wollen, sei den Menschen freigestellt, sagt Göhmann, niemand verpflichte sich zu irgendetwas.
„Wir haben eigentlich zwei Ziele“, sagt Tanja Kruse vom Socium Bremen. Sie betreut ein anderes Bürgerforschungsprojekt, durch das die Bedingungen für Pflegende im Ammerland verbessert werden sollen. „Wir möchten inhaltlich forschen, aber auch gucken, wie Bürgerforschung gut gelingen kann“, sagt Kruse. Dafür arbeitet das Team mit der Kreisvolkshochschule im Ammerland zusammen. Dort sollen sich die interessierten Menschen zukünftig treffen.
Gerade läuft online die Vortragsreihe des Projekts, ab Januar können interessierte Menschen in einer Forschungswerkstatt wissenschaftliches Arbeiten lernen und im Anschluss selbst forschen – zum Beispiel, indem sie auf einem Tablet die Zeit dokumentieren, die sie mit der Pflege von Angehörigen verbringen.
In Bremen gibt es neben „Ginger“ und dem Pflegeprojekt „Be Wizzard“ noch „Afoot“ zum Thema Mobilität im Alter sowie ein Projekt, bei dem Bürger*innen für das Geologische Institut Steine sammeln können. „Ginger“ und „Be Wizzard“ werden vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung gefördert, so wie 13 andere Projekte bundesweit.
Bürgerunis im Trend
Mit Aufnahmegeräten und Statistikprogrammen beladene Rentner*innen und Jugendliche – das liegt im Trend. Unis wie Frankfurt und Düsseldorf verstehen sich schon als Bürgeruniversitäten.
Eine realistische Idee? „Dazu muss man erst mal die Ressourcen haben“, sagt Sarah Göhmann, „wir können den Leuten nichts zahlen. Es ist also ehrenamtlich.“ Dessen sei man sich aber bewusst, sagt Göhmann, und deswegen sei das Projekt möglichst flexibel, kostenlos, die Einstiegshürden niedrig. „Eigentlich wollen wir besonders die Leute ansprechen, die sonst mit Wissenschaft nicht viel zu tun hatten“, sagt sie. Und letztendlich könne das Projekt ja auch selbst gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, durch mehr Vertrauen in und Verständnis für Wissenschaft.
Und auch „Be Wizzard“ sieht sich nicht bloß als Forschungsprojekt. Die Forscher*innen wollen auch ältere Leute zusammenbringen, Einsamkeit vorbeugen und älteren Menschen eine Aufgabe geben und so positive Aspekte des Alterns hervorheben, sagt Tanja Kruse. „Be Wizzard“ läuft jetzt noch drei Jahre, „Ginger“ vier. „Unsere Aufgabe als Wissenschaft ist die“, sagt Kruse: „Erkenne ein Problem und löse es.“
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