Hermann Nitsch in Bayreuth: Mit Schrubbern und Eimern
Bei den Bayreuther Festspielen kommentiert Hermann Nitsch „Die Walküre“ von Wagner mit einer gigantischen Malaktion. Das passt erstaunlich gut.
Zufall oder Trend? In diesem Festspielsommer ist auf der Opernbühne die bildende Kunst auf dem Vormarsch. In Salzburg inszenierte Romeo Castellucci „Don Giovanni“ in Tableaus voller Anspielungen auf die Kunstgeschichte, mehr White-Cube-Installation als Theaterinszenierung. In Bayreuth folgt nun Richard Wagners „Die Walküre“ als konzertantes Arrangement vor einer Malaktion des für sein Orgien- und Mysterientheater berüchtigten österreichischen Aktionskünstlers Hermann Nitsch.
Die Aufführung wäre ohne die Pandemie allerdings nicht zustande gekommen, denn sie ist Teil eines Ersatzprogramms für die Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“, die im vergangenen Jahr der Pandemie zum Opfer fiel und auf 2022 verschoben wurde.
Das Ersatzprogramm bietet noch weitere Neuinterpretationen des „Ring“-Stoffs, im Festspielpark beschäftigt sich eine Komposition von Gordon Kampe, mit Puppen realisiert von Nikolaus Habjan, mit „Das Rheingold“, „Siegfried“ wird multimedial aufbereitet von Jay Scheib, und die Japanerin Chiharu Shiota zeigt zur „Götterdämmerung“ ebenfalls im Festspielpark eine Installation. Die drei Kreationen sollen die Tetralogie „spiegeln, kommentieren, fortschreiben oder neuartig erlebbar machen“, wie es heißt.
Nach wie vor ist die Pandemie in Bayreuth allgegenwärtig, nicht zuletzt durch die rigiden Hygieneregeln und die stark limitierten Plätze, die dafür sorgten, dass ein Teil der Pressegäste von der „Walküre“-Premiere am 29. Juli in die Generalprobe verschoben werden musste, auch die taz-Korrespondentin.
Den heute über 80-jährigen Künstler Hermann Nitsch mit einer Fortschreibung der „Walküre“ zu betrauen ist tatsächlich so abwegig nicht, denn erstens „inszeniert“ er damit nicht zum ersten Mal eine Oper, und zweitens ist ja auch Nitsch ein Künstler, der sich als Gesamtkunstwerker versteht, sozusagen als Parallelentwurf zu Wagners Kunstbegriff.
Platsch!, macht das immer wieder
Zu Beginn ist die Bühne ein unschuldig weißer Raum, ein paar Besen stehen bereit und drei Stühle an der Rampe. Die Sänger*innen treten in einheitlichen schwarzen Kutten auf, und während der Dirigent Pietari Inkinen im gedeckelten Graben das Orchester zu ersten Klangstürmen aufpeitscht, beginnen zehn Maler*innen mit ihrer Arbeit: Eine Abordnung zelebriert die für Nitsch typischen sogenannten Schüttbilder, bei denen Farbe am oberen Rand der Leinwand ausgegossen wird und dann in Rinnsalen hinunterläuft.
Gelb und orange leuchten die ersten Rinnsale, während eine zweite Mannschaft den Bühnenboden grober bearbeitet und meist mit schwungvollem Anlauf Farbe aus Eimern auf den weißen Boden leert. Platsch!, macht es immer wieder, gern platzt das Geräusch auch in leise Stellen oder Generalpausen herein. Die Boden-Truppe nimmt bisweilen die Besen zur Hand und schrubbt geräuschvoll Farbschlieren ineinander.
Derweil bliebt es vorne am Bühnenrand durchweg oratorisch. Die Sänger*innen treten auf und ab, Spiel und Gesten bleiben bloß angedeutet, das Geschehen verlagert sich ausschließlich in die Musik und, ja tatsächlich, in die völlig abstrakte, aber immer beredtere Dynamik der rinnenden Farben, mal in dickem Fluss, mal in feinstem Strahl, von leuchtenden Neon- bis hin zu opaken Erdtönen, auf geheimnisvolle Weise synchronisiert mit den inneren Zuständen, die Wagners Musik schildert und unbewusst rumoren lässt.
Partitur der Farben
Die Maler*innen arbeiten, so heißt es, mit Knopf im Ohr und folgen, mit gewissen Freiräumen der Improvisation, Nitschs minutiösen Anweisungen, der offenbar so etwas wie eine Farbpartitur entworfen hat.
Brünnhildes Todesverkündung wird vorbereitet mit einem Schwall in Mintgrün, dann folgen Flieder und Gelb, keineswegs plattes Schwarz. Je mehr das Auge sich an den Farbrausch und seine eigenwillige Dramaturgie gewöhnt, desto interessanter wird es. Tatsächlich geschieht ja nichts auf der Bühne, außer dass sich in jeder Sekunde Farbe bewegt, rinnt, tropft und spritzt und neue Farbe die alte überlagert. Die äußere Handlung von Wagners Musiktheater gerät dadurch vollständig aus dem Blick, das Geschehen wendet sich vielmehr nach innen, lauscht auf die Zustände, das Fließen der inneren Emotionsströme.
Am Ende vermisst man fast nichts und schon gar keine schlechte Regie. Zumal Pietari Inkinen im Graben sich auf kongeniale Weise auf die Situation einstellt und auf kammermusikalische Transparenz, Leichtigkeit und das Herauspräparieren von Farben statt lauter Effekte setzt, wobei ihm auch die glückliche Situation entgegenkommt, dass die Sänger sich nicht in der Tiefe der Bühne verlieren.
Inkinen dirigiert eine intime, klangleuchtende und dennoch enorm dramatische „Walküre“. Auch die Sänger*innen sind spürbar glücklich mit der Situation: Das festspielreife Ensemble wird überragt von Lise Davidsen, die als Sieglinde eine Wucht ist, kraftvoll und mühelos in den Höhen, Klaus Florian Vogt ist ein hell timbrierter, leichter Siegmund. Insgesamt ein interessanter Abend, keine Notlösung.
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