Lost im Hostel

Private Hostelbesitzer verdienen sich goldene Nasen an Wohnungslosen, weil es nicht genug Wohnheimplätze gibt. Drei Bezirke überlegen nun, Pleite-Hostels für Wohnungslose zu kaufen

Protest von Obdachlose der Rummelburger Bucht im Juni, die nur übergangsweise in ein Hostel durften Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Dass private Betreiber von miserablen „Läusepensionen“ viel Geld mit der Unterbringung von Wohnungslosen verdienen, ist ein oft verdrängter Skandal. Tatsächlich ist Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) mit dem Bekunden angetreten, dies zu ändern. Doch noch lässt die angestrebte Lösung, die „Gesamtstädtische Steuerung der Unterbringung“, auf sich warten, nach fünf Jahren beginnt im August erst die Pilotphase (dazu unten mehr).

Derweil geht die Abzocke munter weiter, wie ein aktuelles Beispiel aus Mitte zeigt. Hier zahlt der Bezirk für eine siebenköpfige Familie, die in einem möblierten 35-m2-Apartment in einem Hostel untergebracht ist, 35 Euro pro Person und Nacht – macht im Monat 7.350 Euro bzw. 210 Euro pro Quadratmeter. Der RBB hatte am Montag zuerst über den Fall berichtet. Die Einweisungsverfügung, aus der die Kosten hervorgehen, liegt nun auch der taz vor.

Wie oft in solchen Fällen geht der horrende Preis nicht mit guter Qualität einher, im Gegenteil: Das Hostel ist schon öfter wegen Bettwanzenbefall in Verruf geraten, wie der Flüchtlingsrat in einer Beschwerdemail an das Bezirksamt dokumentiert. Auch die betroffene Familie hat sich laut Georg Classen vom Flüchtlingsrat wiederholt über die Wanzen beschwert und um Verlegung gebeten.

Nach Classens Darstellung wäre es wiederholt möglich gewesen, dass das Bezirksamt die Familie im Wege der Amtshilfe in eine modulare Flüchtlingsunterkunft (MUF) des Landesamts für Geflüchtete mit freien Kapazitäten verlegt. Dort seien Qualitätsstandards vertraglich gesichert und Extraprofite durch Überbelegung wie in diesem Hostel ausgeschlossen. Zudem kümmern sich in den LAF-Unterkünften anders als im Hostel SozialarbeiterInnen um die BewohnerInnen. Classen: „Bei den Modulneubauten des LAF refinanziert zudem der Tagessatz die Immobilie des Landes.“

Bezirksamt will private Arbeitsplätze sichern

Das Bezirksamt wies die Beschwerden des Flüchtlingsrats zurück: Der Wanzenbefall habe sich nach Einsatz eines Kammerjägers erledigt, ansonsten erfülle die Unterkunft die Mindeststandards des Bezirks. Auch sei nicht einzusehen, wieso die Unterbringung der Familie in einem LAF-Heim besser wäre, heißt es in der Antwort auf die Beschwerde, die der taz vorliegt. Zumal diese Forderung verkenne, „dass die Unterbringung von Obdachlosen in vertragsfreien Einrichtungen einerseits weiterhin notwendig ist und andererseits Arbeitsplätze schafft“.

Dieses Argument ärgert Classen besonders. „Wie kann das Ziel der Arbeitsplatzbeschaffung den Einsatz so hoher öffentlicher Mittel rechtfertigen?“, fragt er und hat inzwischen den Landesrechnungshof um Prüfung gebeten. Auf eine entsprechende Anfrage der taz erklärte das Bezirksamt nur allgemein: „Die Familie wohnt aktuell noch in der Notunterkunft und gab an, dort gerne zu wohnen.“

Die Probleme mit schlechten Wohnungslosenunterkünften sind seit Jahren bekannt. Die Abkehr vom sozialen Wohnungsbau dürfte die Hauptursache sein, dazukamen die vielen Flüchtlinge seit 2015/16, die auf dem freien Wohnungsmarkt wie viele GeringverdienerInnen keine Chance haben. Zunächst werden sie vom LAF untergebracht, doch nach ihrer Anerkennung als AsylbewerberInnen sind die bezirklichen Jobcenter für sie zuständig.

Laut LAF sind 9.000 von 18.000 BewohnerInnen von LAF-Heimen solche „Statuswechsler“, die weiterhin in Flüchtlingsheimen wohnen. Denn die Bezirke haben keine freien Wohnheimplätze, sind aber zudem nach dem Allgemeinen Sicherungs- und Ordnungsgesetz (ASOG) auch für alle anderen Wohnungslosen zuständig. Rund 30.000 Menschen bringen die Bezirke in sogenannten ASOG-Heimen unter – in Wohnheimen, zunehmend aber auch privaten Pensionen und Hostels von fraglicher bis sehr schlechter Qualität.

Hostel war früher kommunales Wohnheim

Dies ist auch Ergebnis des Sparwahns vergangener Jahrzehnte: Das Hostel aus dem Beispiel etwa war früher ein kommunales Wohnheim, wurde aber in den Nullerjahren wie viele Einrichtungen wegen angeblich zu hoher Kosten geschlossen.

Mit der Gesamtstädtischen Steuerung der Unterbringung (GStU) will Breitenbach die Probleme grundsätzlich angehen: Basis des Ganzen ist eine Software, auf die alle Bezirke und das LAF zugreifen werden. Dort sollen alle Unterkünfte mit ihren freien Plätzen gelistet sein, auch Besonderheiten wie Familienfreundlichkeit oder Barrierefreiheit werden vermerkt. Alle Unterkünfte sollen vertraglich gebunden und zu denselben Qualitätsstandards verpflichtet werden, die regelmäßig kontrolliert werden sollen.

CDU-Sozialstadtart Detlef Wagner aus Charlottenburg-Wilmersdorf erhofft sich viel davon: „Die bezirklichen Wohnhilfen haben dann mehr Zeit, den Menschen zu helfen.“ Dass die Entwicklung des neuen Systems so lange gedauert hat – im August beginnt die Pilotphase mit dem LAF und fünf Heimen von Charlottenburg-Wilmersdorf und Mitte – hängt laut Wagner vor allem am „Bürokratieproblem“: „Es braucht einfach wahnsinnig viel Zeit eine neue Software einzuführen.“ Wann das System landesweit bereit ist, vermag er nicht zu sagen.

Mehr gute Unterkünfte werden so freilich nicht gebacken. Daher überlegen einige Bezirke, laut Wagner neben Charlottenburg-Wilmersdorf auch Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg, den Kauf von Hostels, die die Coronakrise nicht überlebt haben, um dort wieder in Eigenregie Obdachlose unterzubringen. „Das würde sich schnell amortisieren“, glaubt Wagner. „Man hätte einen sauberen, guten Standard und wäre nicht mehr abhängig von den Preisen, die private Betreiber diktieren.“

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