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Mit dem Dorfshuttle übers Land

Verkehrswende in der Provinz: Das Amt Süderbrarup in Schleswig-Holstein sucht nach smarten Lösungen

Aus Süderbrarup Esther Geißlinger

Eine Tankstelle und ein Autohaus liegen rechts der Bundesstraße, links eine Fahrschule, dann folgen die Kirche und der Festplatz. Stetig rauscht der Verkehr wenige Meter von dem Büro entfernt, in dem Malin Harrsen, 25, und Annabell Schröter, 28, darüber nachdenken, wie sie die Menschen im Amt Süderbrarup dazu bringen, künftig weniger mit dem eigenen Auto unterwegs zu sein. Dafür, dass diese Aufgabe fast unlösbar ist, haben die beiden ziemlich gute Laune.

Das Amt Süderbrarup besteht aus 13 Gemeinden, die Steinfeld und Nottfeld, Saustrup und Scheggerott heißen und in denen jeweils nur ein paar hundert Menschen leben, der größte Ort ist das Dorf Süderbrarup. Ingesamt 11.552 Ein­woh­ne­r*in­nen zählt das Einwohnermeldeamt auf 147 Quadratkilometern, das sind rund 30 Quadratkilometer mehr als die Fläche der Landeshauptstadt Kiel mit 250.000 Menschen. Der Amtsbereich beginnt an den Ufern des Ostseearms Schlei, darüber liegen eiszeitliche Hügel, auf denen im Frühling gelbe Rapsfelder leuchten und auf deren Kuppen sich die Rotoren der Windräder drehen.

Landwirtschaft sei der mit Abstand wichtigste Wirtschaftsfaktor in der Region, gefolgt von Tourismus und sozialen Dienstleistungen, sagt Thomas Dethlefsen. Der 55-jährige CDU-Politiker ist Bürgermeister der Gemeinde Boren und Vorsteher des Amtes, im Hauptberuf leitet er einen Campingplatz. Er hat Süderbrarup für das Bundesprogramm „Smart City“ angemeldet, auch wenn weit und breit keine City zu sehen ist. Umso smartere Lösungen will das Amt finden – bei der Digitalisierung, bei der Verwaltung, bei der Gesundheitsversorgung und eben auch beim Verkehr.

Das Ziel: Bis 2030 sollen deutlicher weniger private Fahrten stattfinden, und wenn neue Wagen gekauft werden, sollen es E-Autos sein. Das Problem: „Wir haben viel weniger Druck als in der Stadt.“

Natürlich hat die Debatte über den Klimawandel den ländlichen Raum längst erreicht, sogar massiver als die Städte: Für Land­wir­t*in­nen bedeutet „Dürresommer“ kein Small-Talk-Thema, sondern Ernteausfall. An der Energiewende wirken Haushalte auf dem Land aktiv mit – auf vielen Dächern schimmern die Platten von Photovoltaik-Anlagen, und Dorfgemeinschaften betreiben Windparks. Dennoch ist der energetische Fußabdruck je­de*s Einzelnen tiefer als in der Stadt, wegen der größeren Wohnflächen – und wegen der vielen Autos. Vor den meisten Häusern parkt mehr als ein Wagen, und darauf zu verzichten fällt auf dem Land viel schwerer als in der Stadt, schließlich sind die Wege zu Läden, Arztpraxen, Kinos oder Clubs weit.

„Wer 18 ist, macht als Erstes den Führerschein“, sagt Dethlefsen, der bedauert, dass es im Amtsbereich keine Fridays-for-Future-Gruppe gibt. Für den Totalverzicht auf das eigene Auto plädiert er nicht, auch er selbst ist in einem Verbrenner-Kombi unterwegs. Aber weniger Fahrten seien möglich, „wenn wir Angebote machen, die für die Leute attraktiv sind“. Die Fördermittel aus dem Smart-City-Programm geben dem Amt die Chance, Ideen zu testen. Dethlefsen sagt: „Wir wollen Ergebnisse liefern, allzu viele Fehler dürfen wir uns nicht erlauben.“

Ergebnisse liefern und keine Fehler machen ist der Job von Harrsen und Schröter. Sie bekommen viel Zuspruch, das erklärt ihre gute Laune. Und auch erste Ergebnisse gibt es: Seit vergangenem Herbst steht ein elektronisches „Amtsmobil“ neben der Verwaltung, es kann per App gemietet werden. Der Kleinwagen ist mit Werbung beklebt wie ein Formel-1-Bolide, nur dass diese von lokalen Geschäften stammt.

Interessierte könnten unverbindlich ein E-Auto testen, die Nachfrage sei hoch, sagt Harrsen. Als Nächstes folgen „Mobilitätsstationen“ an zentralen Punkten, etwa am Bahnhof oder neben der Verwaltung, mit WLAN, E-Ladesäulen für Autos und Räder. Private Mitfahrgelegenheiten können über die Homepage des Amtes organisiert werden.

Das größte Projekt soll in diesem Herbst starten. Zwei Kleinbusse werden als „smarte Dorfshutt­les“ virtuelle Haltestellen anfahren, die so verteilt liegen, dass sie von jedem Haus zu Fuß zu erreichen sind. Der Bus rollt auf Bestellung los und versucht auf jeder Fahrt möglichst viele Pas­sa­gie­r*in­nen mitzunehmen. Mitttels künstlicher Intelligenz wird dabei die beste Route berechnet – für diese Technik arbeitet das Amt mit dem regionalen Verkehrsanbieter Nah-SH zusammen. „Heute fahren sieben Mütter ihre Kinder einzeln zum Sport – künftig könnte das Dorfshuttle alle Kinder mitnehmen“, sagt Dethlefsen.

Der Bus soll per App gerufen werden, Ältere können das Telefon benutzen. Gerade diese Generation freue sich über solche Angebote, glaubt der Amtsvorsteher.

„Heute fahren 7 Mütter ihre Kinder einzeln zum Sport – künftig könnte das Shuttle alle Kinder mitnehmen“

Thomas Dethlefsen, Amtsvorsteher

„Ich will nicht auf mein Auto verzichten“, sagt Karl Lehne. Der 84-Jährige lebt seit den 1970er Jahren in Süderbrarup. Der Landwirtssohn stammt aus der DDR und floh kurz vor dem Mauerbau, nachdem der elterliche Hof Teil einer LPG geworden war. In dem Dorf in Schleswig-Holstein war er jahrelang als Steuer- und Wirtschaftsberater für bäuerliche Betriebe tätig. Inzwischen ist er Witwer, seine Tochter lebt in Hamburg, der Sohn in der Schweiz. Um seinen Haushalt kümmert Lehne sich allein, für die täglichen Fahrten nimmt er ein Fahrrad – „mit Tiefeinstieg, sehr bequem“ –, für den wöchentlichen Einkauf das Auto, ein Motorrad steht im Keller. Vor allem braucht er den Wagen, um sein einige Kilometer entferntes Stück Wald zu bewirtschaften: Das Holz landet im Kamin oder wird verschenkt.

Klar mache er sich Sorgen wegen des Klimawandels, sagt Lehne, und neuen Techniken gegenüber sei er aufgeschlossen. Das CDU-Mitglied – „das rührt noch von Adenauer her“ – hat lange im Ort im Gemeinderat gesessen und die großen Bauprojekte mitbeschlossen. Die Bundesstraße 201, über die stetig der Verkehr mitten durch den Ort rauscht, sollte in den 1970er Jahren einmal auf eine Umgehungsstraße verlegt werden, die einheimische Wirtschaft lief Sturm dagegen.„Heute ist der Verkehr schon eine Belastung“, sagt Lehne. Und billig sei Autofahren auch nicht, hat er berechnet.

Und trotzdem bleibt er skeptisch, was den öffentlichen Verkehr angeht. Neulich wollte er zum ersten Mal mit der Bahn in die Schweiz, seinen Sohn besuchen. Doch der Zug in Süderbrarup fiel aus, ein Nachbar musste ihn zum Bahnhof nach Kiel fahren. Lehne bleibt dabei: „Das eigene Auto bedeutet Unabhängigkeit.“

Die Jüngeren sehen das anders, aber stellen fest, dass es ohne Auto auf dem Land tatsächlich nicht so einfach ist. Die beiden Koordinatorinnen des Smart-City-Projekts sind beide aus größeren Städten zugezogen. Malin Harrsen pendelte früher aus Kiel mit der Bahn, nun wohnt sie direkt im Ort und kommt zu Fuß zur Arbeit, die Bundesstraße entlang, vorbei an der Tankstelle, dem Autohaus und der Fahrschule. Einen Wagen brauchte sie trotzdem, um am Wochenende die Familie auf Pellworm zu besuchen. Annabell Schröter hat während ihres Studiums in Lüneburg kein Auto besessen, sich aber eines gekauft, als sie für den Job in die Nähe von Süderbrarup gezogen ist. Ab Herbst wird sie mit dem Dorfshuttle zur Arbeit kommen: „Da freue ich mich schon drauf.“

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