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„Ich fühle mich frei. Ich bin frei!“

Mohammed B., mutmaßlicher Mörder des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh, zeigt vor Gericht keine Reue. Er würde das Gleiche wieder tun. Staatsanwalt spricht von einem Anschlag auf die Demokratie und beantragt lebenslange Haft

AUS AMSTERDAM CLARA ROSENBACH

Mohammed B. sitzt seinem Richter mit leerem Blick gegenüber. Gleichgültig, fast gelangweilt wirkt der Mann, der sich in den vergangenen zwei Tagen vor einem Amsterdamer Gericht für den Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh verantworten musste. Seinen Kopf hat er mit einem schwarz-weißen Palästinensertuch umwickelt, hin und wieder krault er sich seinen Vollbart – und gähnt. Er macht sich nur wenige Notizen während des über vier Stunden langen Plädoyers des Staatsanwalts. Und dann geschieht das Wunder: Nach monatelangem Schweigen macht Mohammed B. doch noch den Mund auf. „Wenn ich freikomme und die Gelegenheit habe, das Gleiche noch einmal zu tun, dann tue ich es wieder“, triumphiert der Angeklagte. An die Mutter von Theo van Gogh gewandt, sagt er: „Ich kann ihren Schmerz nicht nachfühlen. Ich weiß nicht, wie es ist, einen Sohn zu verlieren, der mit so viel Unglück zur Welt kam.“

Bisher hatte sich der Angeklagte permanent geweigert, irgendetwas zu seiner Tat zu sagen. Er übernehme die volle Verantwortung und habe im Auftrag Allahs gehandelt, war bis zum Prozess seine einzige Stellungnahme gewesen.

Der Marokkaner mit niederländischem Pass hatte den Filmemacher Theo van Gogh am 2. November vergangenen Jahres brutal abgeschlachtet. Er tötete van Gogh mit zahlreichen Schüssen und Messerstichen – mitten in Amsterdam. Mit einem Schlachtmesser durchtrennte er seinem Opfer auf offener Straße die Kehle. Der umstrittene Intellektuelle war mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit gewesen. Sein Flehen um Gnade überhörte sein Mörder.

Für diese Tat verlangt der Staatsanwalt eine lebenslange Haftstrafe für den Marokkaner. Mohammed B.s Tat sei ein Anschlag auf die niederländische Demokratie und die Meinungsfreiheit gewesen, erklärt Frits van Straelen in seinem Plädoyer. Der Angeklagte habe den Mord gründlich vorbereitet und die Niederländer damit in Angst und Schrecken versetzt. Außerdem habe Mohammed B. eindeutig eine „terroristische Absicht“ gehabt. So soll der Angeklagte unter anderem Kontakt zu der so genannten „Hoofstaad-Gruppe“ gehabt haben. Diese islamistische Vereinigung soll mehrere Anschläge in den Niederlanden geplant haben – zum Beispiel auf den Amsterdamer Flughafen Schiphol.

Mit seiner Tat hatte der Marokkaner die Niederlande in eine Identitätskrise gestürzt. Im Land der Meinungsfreiheit fühlten sich die Menschen plötzlich nicht mehr sicher. Auf Kirchen und Moscheen wurden in den vergangenen Monaten mehrere Anschläge verübt. Nach dem rechtspopulistischen Politiker Pim Fortuyn war van Gogh bereits das zweite Opfer eines politisch motivierten Mordes im Polderland.

In allen Details rekonstruiert Staatsanwalt Frits van Staelen die Bluttat. Nachdem Mohammed B. van Gogh niedergestreckt hatte, lieferte er sich einen langen Schusswechsel mit der Polizei. „Ich habe nur geschossen, weil ich den Tod suchte“, sagt der Angeklagte. Sein Wunsch sei es, als Märtyrer zu sterben.

Hinter ihm auf den Zuschauerplätzen haben Familie und Freunde des Ermordeten Platz genommen. Seine Mutter hat ihre grauen Haare hochgesteckt. Eine schwarze Lesebrille baumelt um ihren Hals. Die Gleichgültigkeit des Angeklagten macht sie rasend. Ihre Stimme zittert, als sie das Wort im Gerichtssaal ergreift: „Mohammed hat getötet, um ins Paradies zu kommen. Aber auf ihn wartet nur das Gefängnis. Er hat einen liebevollen Familienvater, Sohn und Bruder ermordet.“

Aber selbst die Forderung nach einer lebenslangen Haftstrafe scheint den Angeklagten nicht sonderlich zu beeindrucken. Nachdem er auf Arabisch Allah und seinen Propheten um Beistand angefleht hat, fügt er sich ergeben seinem Schicksal und verkündet mit viel Pathos in der Stimme: „Ich fühle mich frei. Ich bin frei, auch wenn ihr mich einsperrt.“ Der Prozess ist mit diesen Worten des Angeklagten beendet. Das Urteil ist für den 26. Juli angekündigt.

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