: Fragil wie eine Libelle
Bisher hat Zamarin Wahdat für jedes Projekt eine Auszeichnung bekommen. Beim Hamburger Kurzfilmfestival stellt die Regisseurin und Kamerafrau derzeit ihren Kurzfilm „Bambirak“ vor: eine gelungene Geschichte über Väter und Töchter, Rassismus und Vertrauen
Von Wilfried Hippen
Ein Kind fühlt sich vom Vater verraten. Es wird unschuldig beschuldigt und der Vater verteidigt es nicht. Wohl jede*r hat in der Kindheit irgendwann so eine Situation erlebt; das erste Mal, dass er oder sie enttäuscht wurde vom Vater oder von der Mutter. Das Erlebnis mag manche*r dann verdrängen, aber es bleibt prägend. Geradezu universell also ist die Geschichte, die Zamarin Wahdat in ihrem Kurzfilm „Bambirak“ erzählt. Der besondere Dreh dabei: Nur durch seinen Verrat kann der Vater die achtjährige Kati vor einem alltagsrassistischen Konflikt beschützen. Das Kind kann das aber nicht verstehen, und so wird auch der Vater ein unschuldig Beschuldigter.
All das erzählt Wahdats erste Regiearbeit in knapp 13 Minuten subtil und voller Zärtlichkeit. Und das gelingt auch, weil die Filmemacherin aus ihren eigenen Erfahrungen schöpft: Auch Wahdat kam sehr jung mit ihren Eltern aus Afghanistan nach Deutschland und versteht sich heute als Deutsche, genauer: als Hamburgerin. Und so wie der Vater im Film hat auch ihr eigener, in Kabul einst Leiter eines akademischen Instituts, in Deutschland dann als Kurierfahrer gearbeitet. Und einmal, einen „Girls Day“ lang, hat sie ihn dabei begleitet. Im Film hat die 32-Jährige das alles dann dramaturgisch verdichtet: Hier versteckt sich Kati (Lara Cengiz) morgens im Lieferwagen, um einen Tag mit ihrem Vater (Kailas Mahadevan) zu verbringen. Kati, so heißt übrigens auch Zamarin Wahdats echte kleine Schwester.
„Bambirak“ heißt „Libelle“ auf Farsi. So fragil wie dieses Insekt wirkt auch der Film. Gedreht wurde er 2018 im Hamburger Hafen sowie in den Stadtteilen Fuhlsbüttel und Steilshoop im quasi-dokumentarischen Stil mit Handkamera und ohne künstliches Licht. Entstanden ist ein atmosphärisch dichtes Stimmungsbild, bei dem sich Wahdat ganz auf das Verhältnis zwischen Tochter und Vater konzentriert. Auch optisch sind alle anderen nur Nebenfiguren: Es gibt viele Nahaufnahmen der beiden – auch weil Lara Cengiz zum ersten Mal vor einer Kamera stand. Wahdat verzichtet auf jede melodramatische Zuspitzung, und so stimmen jeder Ton und jede Nuance. Ein bemerkenswertes Regiedebüt, das auf dem diesjährigen Sundance-Film-Festival den Preis als bester internationaler Kurzfilm gewonnen hat.
Für Wahdat ist diese Auszeichnung allerdings fast ein Rückschritt: 2019 hat sie bereits einen Oscar bekommen – allerdings als Teil eines ausgezeichneten Teams: Bei dem Dokumentarkurzfilm „Learning to Skateboard in a Warzone (If You’re a Girl)“ hatte sie als zweite Kamerafrau und Übersetzerin mitgearbeitet. Die Regisseurin Carol Dysinger war damals Wahdats Dozentin an der New Yorker Tisch School of the Arts. Und für die Dreharbeiten hatte Wahdat 2017 zum ersten Mal wieder Afghanistan besucht, das Land, in dem sie geboren wurde.
Der Oscar hatte Folgen: Schon bald nach der damaligen Preisverleihung bekam Wahdat ein Stipendium der Hollywood Foreign Press Organisation für die Postproduktion von „Bambirak“; ein höherer Betrag, als das ursprüngliche Budget. Noch wichtiger war vielleicht, dass sie durch den wohl bekanntesten Filmpreis auch in Deutschland bekannt wurde. Denn für ihre Ausbildung war Wahdat nach Großbritannien gegangen, 2012 erhielt sie den Bachelorabschluss für Film an der University of Sussex. Danach studierte und arbeitete sie dann in den USA.
In Deutschland hatte sie da noch keinerlei Kontakte zur Branche und kehrte dann nicht zuletzt wegen Corona hierher zurück – also eher unfreiwillig. Doch als Oscar-gekrönte Kamerafrau bekam sie das Angebot, an einem Hamburger „Tatort“-Krimi mitzuwirken. „Schattenleben“ mit Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz, Regie: Mia Spengler, wurde soeben abgedreht und soll Anfang 2022 ausgestrahlt werden.
Noch vor ihrem Oscar war Wahdat in Los Angeles Kamerafrau bei Faren Humes’Kurzfilm „Liberty“, der 2019 auf der Berlinale den Spezialpreis der Internationalen Jury erhielt. Es gab also bisher noch kein Projekt mit oder von ihr ohne eine Auszeichnung.
Derzeit noch in Arbeit ist eine Dokumentation über die syrische Schwimmerin und Aktivistin Sarah Mardini, bei der Wahdat für die Kamera verantwortlich ist, aber auch bei einigen Sequenzen Regie führte. Solange sie nicht gegen Corona geimpft ist, muss Wahdat wohl oder übel in Deutschland bleiben, aber inzwischen plant sie hier auch ihren ersten Langfilm als Regisseurin zu inszenieren. Auch dabei will sie erklärtermaßen aus den Erfahrungen ihrer Kindheit schöpfen. Da kann also noch vieles Gutes kommen.
„Bambirak“ ist Teil des Programms „Internationaler Wettbewerb 5“ beim laufenden 37. Kurzfilmfestival Hamburg und kann dort noch bis zum 7. 6. online angesehen werden:
https://festival.shortfilm.com/de
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