heute in hamburg: „Empowerment innerhalb des Glaubens“
Öffentliche Onlinevorlesung „Religion, Feminismus und Agency neu konzipiert“. 18 Uhr. Anmeldung: https://www.zfw.uni-hamburg.de/oeffentliche-vortraege/programm-sose/14-genderstudies-queerstudies-religionswissenschaft.html
Interview Arne Matzanke
taz: Frau Albrecht, feministische Befreiung und göttliche Restriktionen – ist das nicht ein Widerspruch?
Jessica Albrecht: Das ist ein Vorwurf, der häufig gemacht wird. Dabei findet sich meiner Meinung nach auch feministisches Empowerment innerhalb des Glaubens an eine Religion. Nur weil Religion häufig restriktiv interpretiert wird, muss dies nicht für immer oder überall gelten.
Werden alle Geschlechter gleichermaßen an der Interpretation der heiligen Texte beteiligt?
Ich stelle mir wissenschaftlich die Frage: von wem stammen religiöse Texte? Wer wird auf welche Weise erwähnt? Dabei fällt auf, dass historisch gesehen der Interpretationsspielraum religiöser Dokumente häufig sehr eng gefasst wurde. Diese Interpretationen entstanden in vielen Fällen innerhalb patriarchaler Strukturen, die andere Geschlechterperspektiven marginalisierten. Dabei gibt es beispielsweise im Alten Testament auch die Möglichkeit, bestimmte Ausschnitte so auszulegen, dass es neben einem männlichen Gott auch eine Göttin gibt. Oder dass mehrere Gött*innen existieren.
Welche feministischen Bestrebungen gibt es innerhalb der verschiedenen Religionen?
Da muss zunächst zwischen genuin feministischen Bestrebungen unterschieden werden und solchen, die generell unterdrückten Gruppen eine Perspektive geben wollen, die sich nicht nur auf das weibliche Geschlecht beziehen. In Deutschland wäre eine feministische Bewegung etwa „Maria 2.0“. Sie setzt sich dafür ein, dass auch Frauen als Priesterinnen von katholischen Kirchen berufen werden sollen. Mein persönlicher Schwerpunkt liegt auf buddhistischen Glaubensgemeinschaften. In diesem Kontext gibt es auch die Lesart, dass trans- und queerbuddhistische Menschen als Teil der Gemeinschaft gefasst werden können. Inwiefern dies anerkannt wird, hängt vom Kontext und Eigeninteressen ab.
Was kann die Mehrheitsgesellschaft tun, um gläubige Frauen in ihrer Selbstbestimmung zu unterstützen?
Jessica Albrecht 27, Research Fellow am Heidelberger Institut für Religionswissenschaften und interkulturelle Theologie.
Ich denke zuallererst, dass wir anfangen müssen, religiösen Menschen zuzuhören. Darüber hinaus finde ich es wichtig, dass auch die Selbstbestimmung gläubiger Frauen anerkannt werden muss. Gerade die Diskussion über die Art der Kleidung religiöser Frauen zeigt, dass dabei Nachholbedarf besteht. Zu guter Letzt müssen wir uns mehr dafür einsetzen, dass allen Menschen Zugänge zu Bildung und freiem Meinungsaustausch garantiert werden. Ich glaube, davon profitieren wir am allermeisten.
Wie halten Sie es selbst mit der Religion?
Durch meine Forschung und mein persönliches Umfeld sehe ich, dass Religion und Feminismus ganz konträr zueinander gesehen werden. Ich versuche, diese beiden Bewegungen nicht in die eine oder die andere Richtung zu interpretieren. Beide Gruppen haben Angst, dass die eigene Gruppe durch eine Erweiterung zerstört wird. Ich wünsche mir dabei stets, dass eine Ausgrenzung in alle Richtungen vermieden wird.
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