Temporäres Exil im Container

Ein Freiluftformat begibt sich auf die Spuren von NS-Vertriebenen und Geflüchteten unserer Zeit. Die Ausstellung ZU/FLUCHT ist Vorläuferin des geplanten Exilmuseums am Anhalter Bahnhof

Container als Ausstellungsobjekte Foto: Annette Riedl/dpa

Von Susanne Memarnia

Das fängt gut an: Mit ZU/FLUCHT gelingt dem künftigen Exilmuseum am Anhalter Bahnhof eine Freiluftausstellung, die den Bogen spannt von den Exilanten der 1930er Jahre ins Heute. Die 500.000 von den Nazis vertriebenen Deutschen, Österreicher und Tschechen, deren „traurige und ermutigende Biografien, ihre Unglücks- und Heldinnengeschichten“ man im künftigen Museum erzählen wolle, wie Gründungsdirektor Christoph Stölzl am Donnerstag bei der Pressevorbesichtigung sagt, seien schließlich „die 1. Generation der Globalisierung“. Nur sei Deutschland heute ein Land, „wohin man flüchtet, nicht aus dem man flüchtet“.

Das Exilmuseum basiert auf einer Idee der Schriftstellerin Hertha Müller, die Schirmherrin ist. Der Gründer des Auktionshauses Villa Grisebach, Bernd Schultz, nahm sich der Sache an und gab 6 Millionen Euro als Grundstock in eine private Stiftung. 40 Millionen Euro wird das Museum kosten, 27 Millionen allein der Bau. Derzeit sei Schultz auf „Sammeltour“ in Deutschland, sagt Stölzl – man sei optimistisch die Summe zusammenzubringen.

Das Thema Exil heute ist in zweifacher Weise hinter der Portalruine des alten Bahnhofs präsent, von dem aus ab 1933 berühmte Schriftsteller wie Klaus Mann ins Exil gingen. An ihre und weniger bekannte Schicksale wird auf der staubigen Brache, die bislang ein Parkplatz war, in üblicher Ausstellungsmanier auf Stellwänden erinnert. Die Wände selbst erzählen eine andere Geschichte – die der Flüchtlinge von heute.

Hergestellt wurden die Stellwände und Bauten nämlich aus Containern von Berliner Flüchtlingsunterkünften. Über zwei Semester lang haben sich Architekturstudierende der Technischen Universität im Rahmen eines „Natural Building Lab“ mit diesem Ausgangsmaterial befasst und „darüber nachgedacht, wie man die Container künftig nutzen kann“, erklärt Sina Jansen, Projektkoordinatorin von Exilmuseum und TU.

Angestoßen wurde die Kooperation vom Architekten und Stadtplaner Philipp Misselwitz, der an der TU die „Habitat Unit“ leitet – ein Forschernetzwerk, das sich mit urbanen Entwicklungen im Kontext globaler Migrations- und Klimakrisen befasst. Misselwitzs Forschungen zum Leben in Wohncontainern – und wie sie Geflüchtete umgestalten – werden in einem der sechs Container am Beispiel von Containerlagern in Berlin und Jordanien gezeigt. „Wir wollen eine Debatte starten, wie man mit Geflüchteten umgeht“, sagte Misselwitz. Denn auch wenn Berlin viele der Container derzeit nicht brauche, werde es ja absehbar „weitere Fluchtwellen hierher geben“.

Gespannt sind die Museumsmacher auch auf den Nachbarn schräg gegenüber

Im Container „Exil heute“ soll auch ein „Alphabet des Ankommens“ zu sehen sein. Erstellt wurde es von Geflüchteten im Rahmen eines Workshops und buchstabiert, was den Prozess des Ankommens in einem neuen Land bestimmt. Darüber hinaus hätten die Teil­neh­me­r*in­nen „Wünsche an das künftige Exilmuseum formuliert“, erklärte Kuratorin Cornelia Vossen.

Gespannt sind die Museumsmacher auch auf den Nachbarn schräg gegenüber: das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Deutschlandhaus. Das Zentrum, das auf Initiative der langjährigen Vorsitzenden des Vertriebenenverbands, Erika Steinbach, entstand, eröffnet am 21. Juni. Trotz Weiterentwicklung des Konzepts wird die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 offenbar weiter zentral sein.

Das sei ein „interessanter Spagat, der sich ergibt“, so Stölzl. Schließlich seien beide Seiten „Folgen der deutschen Höllenfahrt, die als Nemesis auf Deutschland zurückgefallen ist“.

12. Juni bis 31. Oktober am Anhalter Bahnhof