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Ein Blick in die deutsche Stadt

50 SchülerInnen aus Ost- und Mitteleuropa werden heute für ihre brillanten Deutschkenntnisse geehrt. Die taz sprach mit vier von ihnen über Rolltreppen, Berlin und ihre liebste Fremdsprache

VON TANIA GREINER

Für Tatsiana schoss die Nachricht wie ein Blitz vom Himmel. „So sagen wir in Weißrussland, wenn es eine große Überraschung gibt“, erzählt die 16-Jährige hastig. Dass sie zu den drei besten Deutschschülern in Weißrussland gehört, damit hat sie nicht gerechnet. Der Preis: Mit 49 anderen Stipendiaten nimmt sie derzeit an einen dreiwöchigen Sommersprachkurs in Berlin teil (siehe Text unten).

Bislang war Tatsiana noch nicht ins Ausland gereist, geschweige denn in eine Großstadt. „Ich würde hier niemals allein ins Hotel zurückfinden“, sagt sie. Aufgeregt erzählt die Schülerin von ihren Eindrücken in Berlin. Das zweite Mal in ihrem Leben sei sie in den Potsdamer Arkaden auf einer Rolltreppe gefahren, „göttliche“ Sehenswürdigkeiten gebe es überall in der Stadt, aber alles sei für sie sehr teuer. Locker, offen und sehr humorvoll seien die Berliner. Keine Spur von Pünktlichkeit, Ordnung und Sauberkeit, wie man bei ihr zu Hause die Deutschen beschreibe. Osjory, ihr Heimatdorf, liegt etwa 300 Kilometer von Minsk entfernt. Ins Deutsche übersetzt heißt es „Seen“; der Ort ist von zahlreichen Gewässern umgeben. Sie liebt die Wälder dort und kann sich ein Leben in einer Stadt wie Berlin nicht vorstellen.

Laura aus Estland sieht das genauso. Die 19-Jährige kommt aus einem kleinen Dorf bei Viljandi, eine Stadt mit 20.000 Einwohnern in Südestland, und lernt bereits seit zehn Jahren Deutsch. Schön grün findet sie die Stadt, ganz anders als erwartet. Ab Oktober wird Laura in Estland Germanistik studieren, um später einmal als Dolmetscherin zu arbeiten. „Dann werde ich ziemlich viel Geld verdienen“, lacht sie verschmitzt.

Danjel aus Zagreb, einer der 15 männlichen Stipendiaten, hat andere Pläne. Der fast 18-jährige Kroate träumt davon, einmal in Berlin zu leben. „Hier ist die wirtschaftliche Situation einfach besser.“ Er hofft, dass sein Heimatland bald der Europäischen Union beitreten kann. Aber das werde wohl noch dauern. „Außerdem ist die moderne Architektur toll hier, das haben wir in Zagreb nicht.“

Wenn Danjel redet, merkt man kaum, dass er nicht in Deutschland aufgewachsen ist. Ein Jugendlicher in Jeans und grünem T-Shirt, der sich gewandt und nahezu akzentfrei ausdrückt. Wann er angefangen hat, Deutsch zu lernen, kann er gar nicht genau sagen. Schon vor seiner Einschulung war er regelmäßig in Deutschland, um seinen Onkel zu besuchen.

An Danjels Gymnasium in Zagreb lernen fast alle Schüler Deutsch. „Französisch ist ziemlich unpopulär bei uns.“ Er selbst findet Französisch zwar im Klang schöner und melodiöser. Die deutsche Sprache zu beschreiben fällt dem Kroaten hingegen schwer. Elegant und sehr geeignet für Wissenschaftler, weil man komplizierte Sätze bauen könne, meint er, nachdem er ein bisschen nachgedacht hat.

Agnieszka gefällt an der deutschen Sprache, dass „es da so richtig viel Ordnung gibt“. Die 15-jährige Warschauerin lernt seit einigen Jahren bei einer Privatlehrerin Deutsch, da ihre Schule erst ab der 7. Klasse Anfängerkurse anbietet. Ihr erster negativer Eindruck von Berlin ist bereits verflogen. „Zuerst dachte ich, als wir mit dem Flugzeug in Tegel landeten, dass Berlin eine riesengroße Baustelle ist.“ Nach einer Stadtrundfahrt habe sich ihre Meinung schnell geändert. „Ich glaube, ich könnte mich sogar in Berlin verlieben“, gesteht sie schüchtern.

Etwas erstaunt über die Vielfalt der Menschen in der Stadt ist die Weißrussin Tatsiana. „Es leben hier so viele Russen. Man könnte fast meinen, mehr als Deutsche.“ Überhaupt höre man hier so viele andere Sprachen. Das kenne ich von zu Hause gar nicht. Aber das ist schön, fügt sie schnell hinzu.

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