piwik no script img

Hühnchen hat Hunger

Der Däne Mickael Rasmussen hat sich auf Platz zwei der Tourwertung geschoben. Der ehemalige Mountainbiker hat seine Stärke als Solist unter Beweis gestellt – und als Extremkletterer

VON SEBASTIAN MOLL

Als Lance Armstrong die letzten Rampen auf den Berg nahm, da schaute er sich kurz um. An seiner Seite waren nur noch zwei Radprofis. Der eine hatte ein kanarienvogelfarbenes Trikot an und hieß Alejandro Valverde. Der andere trug ein gepunktetes Leibchen. Das war Mickael Rasmussen. Armstrong hatte die Größen der Vergangenheit abgeschüttelt. Die neue Generation bewegte sich in seinem Windschatten. „Als ich mich umblickte“, sagte Armstrong, „da habe ich die Zukunft des Radsports gesehen.“ Dieser Satz ist wie eine Weihe für Rasmussen, der als Bergbegleiter des Amerikaners den Initiationsritus der Tour mit Bravour bestand, dieser schmächtige Mann aus dem Rabobank-Team. Mickael Rasmussen ist gerade mal einsfünfundsiebzig groß und 59 Kilo schwer.

Winokurow jubelt

Der Däne, der hinter Armstrong auf dem zweiten Platz der Tour liegt, ließ sich von niemandem einschüchtern. Bei seiner großen Flucht nach Mulhouse hatte er sich bis zum Zielstrich Jens Voigt und Christophe Moreau vom Leib gehalten und mit seinem Tagessieg den Grundstein für seinen kometenhaften Aufstieg gelegt. Und auch in den Alpen zeigte sich der 31-Jährige, den sie in Radsportkreisen wegen seiner dürren Beine Chicken nennen, furchtlos. Bis wenige hundert Meter vor dem Ziel fuhr er am Dienstag neben Lance Armstrong her, als wäre dies eine genüssliche Urlaubstour unter Freunden durch das schöne Savoyen, während zwei Minuten tiefer im Tal Jan Ullrich verzweifelt an seiner Tretkurbel herumwürgte. Voigt lag da schon mehr als eine halbe Stunde zurück. Gestern kam der beste Däne seit dem Abgang von Bjarne Riis mit der Gruppe der Favoriten ins Ziel, 1:17 Minute hinter dem Etappensieger Alexander Winokurow aus dem Team T-Mobile. Ullrich bestritt den schweren 11. Abschnitt der Tour in der Nähe von Armstrong und kam zeitgleich mit dem Amerikaner in Briancon an.

Die Berge sind das angestammte Terrain von Rasmussen. Seine Radsportkarriere begann er als Mountainbiker. 1999 wurde er auf breiten Reifen und losem Untergrund Weltmeister, bei Olympia 2000 enttäuschte er mit Platz 22. Doch das war nicht der Grund, warum Rasmussen zu den Straßenprofis wechselte. Der Mountainbike-Boom war vorbei, die Sponsoren stiegen aus dem Geschäft aus, immer mehr Mountainbike-Teams mussten aufgeben. „Der Sport hatte keine Zukunft mehr“, sagt Rasmussen, „es gab nur noch fünf oder sechs bedeutende Rennen im Jahr, und da musstest du gewinnen, sonst bist du verhungert.“

Allerdings gibt Rasmussen zu, dass er lange mit einer Laufbahn als Straßenfahrer kokettiert hatte. Bereits 1998 fuhr er für ein italienisches Team Straßenrennen, bekam aber keinen Vertrag. „Der Straßenradsport ist definitiv noch immer die Formel 1 des Radsports“, sagt er.

Ironischerweise bewies Rasmussen mit seinem erfolgreichen Einstand auf Asphalt, dass das Niveau im Mountainbikesport den Vergleich mit dem Straßenradsport nicht scheuen muss. In seiner ersten vollen Profisaison auf der Straße 2002 war er einer der wichtigsten Helfer von Tyler Hamilton bei dessen zweitem Platz im Giro d’Italia. Im Jahr darauf wurde er Siebter bei der Spanien-Rundfahrt, 2004 gewann er die Königsetappe der Dauphiné-Liberé-Rundfahrt. „Ich bekomme nun verspäteten Respekt für meine Leistungen im Gelände.“

Trotzdem möchte Rasmussen nicht zurück. „Ich vermisse das Mountainbiken überhaupt nicht.“ Schon gar nicht jetzt, da er sich in der Elite seines neuen Sports etabliert hat. Gerade mal 38 Sekunden liegt er hinter Armstrong, und nachdem sein Mannschaftskapitän Denis Menchov viel Zeit verloren hat, ist er Kapitän seiner holländischen Formation Rabobank.

Vor den Alpen wollte er, wenn möglich, um das Bergtrikot der Tour kämpfen. Jetzt hält der Mann mit den Hühnerbeinen unversehens in der Formel 1 des Radsports in der Wertung um die Fahrer-Weltmeisterschaft mit. Und der, der vor ihm liegt, tritt in anderthalb Wochen zurück.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen