: Kuba kickt sie nicht mehr
Vor 20 Jahren wäre es ein Showdown gewesen: Kuba gegen die USA, das Fußballduell. Doch das Qualifikationsspiel für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 vor einer Woche in Seattle zeigt: Die USA haben das Interesse am Wettkampf mit dem Kommunismus verloren
AUS SEATTLE PAUL STINSON
Vor 20 Jahren wäre ein sportliches Kräftemessen zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba eine klassische Konfrontation des Kalten Krieges gewesen, ein schwelender Konflikt, ausgetragen im Boxring oder auf dem Baseballfeld. Erst 19 Jahre alt ist Anthony Castano und muss die Insel erst noch besuchen, die er als seine „Heimat“ bezeichnet. Immerhin 90 Minuten langt rückt diese ferne Heimat ein wenig näher für den US-Kubaner aus Seattle, denn die kubanische Fußballnationalmannschaft ist in der Stadt, um es mit der hoch favorisierten US-Elf aufzunehmen: „Ich habe mich monatelang auf dieses Spiel gefreut und mir heute extra einen Tag freigenommen, um hier dabei zu sein“.
Nach europäischen Maßstäben erinnert die Kulisse im Stadion eher an eine Begegnung von Zweitliga-Clubs. Das „Qwest Field“, gebaut für die amerikanische Fußball-Liga NFL und komplett finanziert von Microsoft-Mitgründer Paul Allen, ist für 67.000 Besucher ausgelegt, nur 15.000 Plätze sind besetzt. Offensichtlich hat das Interesse der US-Öffentlichkeit an einem Wettkampf mit dem Kommunismus schon bessere Tage gesehen. „Für Kuba ist es ein wichtigeres Spiel“, sagt auch Walter Walsh, ein 44-jähriger Ire, der seit 20 Jahren in Amerika lebt: „Die USA haben den Kalten Krieg vergessen, die Kubaner nicht.“
Als Kuba ein frühes 0:1 erzielt, werden auf den Rängen wild zwei einsame kubanische Fahnen geschwenkt. Fans aus Costa Rica und Mexiko (wo jede Niederlage der USA als mexikanischer Sieg gewertet wird) tanzen jubelnd vor den Kameras des einzigen Senders, der das Spiel überträgt – ein Kanal in spanischer Sprache.
Den 15-jährigen Matt Colleen wurmt der Rückstand des US-Teams, er urteilt: „Zur Weltmeisterschaft schaffen wir es nicht, wenn das so weitergeht.“ Für den Schüler ist das Spiel zwischen den USA und Kuba nur ein Spiel wie jedes andere auch: „Kalter Krieg? Darüber weiß ich nicht viel … aber ich finde es gut, was wir im Nahen Osten machen – bis auf die Invasion in den Irak, das war zu gewalttätig.“ Wie sieht er Kuba? „Keine Ahnung. Da kommen Zigarren her, oder? Und es liegt irgendwo bei Florida.“
Für Anthony Castano, der schon oft Miami besucht hat und auf einen Studienplatz an der dortigen Universität hofft, liegt Kuba nur 90 Seemeilen südlich von Florida und ist ein Zuhause, das er im April kommenden Jahres zum ersten Mal sehen wird: „Es war schwierig, ein Visum zu bekommen. Weil meine Familie enge Verbindungen zu Batista hatte, bevor Fidel Castro kam.“
Castanos Vorfahren flohen 1962 nach Amerika, drei Jahre nach der Machtübernahme durch Castro: „Wir hatten zehn Tage, um die Insel zu verlassen“, sagt er, als wäre er dabei gewesen. „Mein Großvater war Pastor in einer Kirche, die dem Diktator Batista nahe stand. Dabei kannte er Castro seit dem Studium in Havanna, sie waren Freunde.“
Für April 2006, wenn er Kuba besuchen wird, hofft Castano auf ein Wiedersehen mit den etwa 30 Verwandten, die dort geblieben sind: „Der Kontakt ist erst 1999 oder so abgebrochen. Es kamen einfach keine Briefe mehr. Sonst haben sie uns immer einmal oder zweimal jährlich geschrieben, aber auf unsere Antworten nie reagiert. Keine Ahnung, warum die Kommunikation abgebrochen ist.“
Inzwischen ist das 1:1 gefallen, und der Ausgleich holt Castanos Erwartungen an sein Team auf den Boden der Tatsachen zurück. Für die Kubaner in ihren roten Trikots ist das Spiel wichtiger als für die Amerikaner, und auch ein Unentschieden würde als Sieg gewertet werden: „Das liegt an den jahrelangen Spannungen zwischen den Ländern“, sagt er: „Wir haben die USA im Boxen und beim Baseball geschlagen. Es wäre schön, wenn das auch im Fußball klappen würde.“
Anthony Castano trägt ein Nike-Sweatshirt mit dem berühmten Basketballer Michael Jordan, will das aber nicht als weltanschauliches Statement verstanden wissen – er arbeitet in einem Nike-Fachgeschäft für Sportschuhe: „Costa Rica hat Schuhe von Nike, Kuba nicht.“ Als das 2:1 fällt, macht Castano sich auf den Weg hinunter zum Spielfeldrand. Er hofft, seinen Landsleuten in der Halbzeitpause die Hände schütteln zu können. Die Auswahl am Stand mit den Souvenirs und Fanartikeln ist fast komplett den Amerikanern gewidmet, dazwischen ein paar verirrte Kanada-T-Shirts, nichts Kubanisches: „Das wundert mich nicht“, meint Anthony Castano, „wenn wir Kuba-Shirts tragen, werden wir von manchen Amerikanern ziemlich übel beschimpft, als Dreck. Es leben eben sehr wenige Kubaner hier in Seattle, es gibt nicht ein einziges kubanisches Restaurant.“
Der Mangel an kubanischer Küche gehört zu seinen kleineren Problemen: „In Seattle falle ich nicht weiter auf, viele halten mich für einen Italiener oder so. Sobald sie aber rausfinden, dass ich Kubaner bin, werde ich anders behandelt. Das war schon auf der Schule so, obwohl die Lehrer es verhindern wollten.“
Ein ähnliches Gespräch in Kuba, das weiß er, wäre in der Öffentlichkeit wohl nicht möglich: „Da wird nicht viel über die Regierung gesprochen. Und wenn, dann nur Gutes. Ich liebe die USA. Und ich bin stolz, US-Kubaner zu sein“, sagt er, während das US-Team unten auf dem Platz endlich seine Überlegenheit ausspielt. Seine Sympathie für die Kubaner bleibt davon unberührt, wer weiß, vielleicht begegnet er im April ja auch dem ein oder anderen Spieler. Castano jubelt, winkt, beugt sich über die Brüstung, als stünde ein Sieg kurz bevor. Dabei erzielen US-Spieler jetzt, kurz vor Schluss, auch noch das vierte Tor gegen Kuba.
Mike Gilbert, 43, nimmt es gelassen zur Kenntnis. Der 43-Jährige mit einem überdimensionalen Uncle-Sam-Zylinder auf dem Kopf hat während des Spiels keinen Gedanken an Politik verschwendet. Er wünscht den Kubanern, dass sie mehr auf ihre sportlichen Tugenden setzen. Sportlichkeit, meint er nun, sollte überhaupt auch in politischen Dingen mehr Gewicht haben: „Jeder wünscht sich doch ein besseres Verhältnis zwischen Kuba und den USA – außer den Exilkubanern in Miami …“
So exemplarisch sie für das Schicksal der Kubaner in den USA auch sein mögen – Lebensgeschichten wie die von Anthony Castano will Mike Gilbert nicht mehr hören. Kuba, sagt er, sei nicht das einzige Land, wo in den Sechzigerjahren die Politik Familien getrennt hat: „Ich bin sicher, dass die Leute in Berlin beispielsweise gut nachfühlen können, wie schlimm so eine Trennung von Verwandten sein muss, manchmal über Jahrzehnte hinweg. Wie sich ein Kubaner in Seattle oder Miami fühlt, kann ein Berliner ganz gut verstehen, schätze ich.“
Das Spiel ist aus, und Mike Gilbert entpuppt sich als Fachmann dieses exotischen Sports: „Ich habe unsere Jungs schon häufiger gegen Kuba spielen sehen, und meistens haben wir sie dominiert. Es ist ein bisschen beunruhigend, dass es diesmal so lange gedauert hat.“
Mit dem Ergebnis von 4:1 für die USA aber ist Gilbert zufrieden: „Das ist doch gut für eine Mannschaft, die diesmal ausschließlich mit Reservespielern angetreten ist.“ Am Ende war es Landon Donavon, ehemals Bayer Leverkusen, heute Stammspieler im US-Team, der die Sache klarmachte. Er wurde kurz vor Schluss eingewechselt und verhalf mit seinen Toren den Vereinigten Staaten von Amerika zu einem weiteren Sieg über die kommunistische Gefahr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen