piwik no script img

Vorwürfe gegen Bundeswahlleiter„Ein Klima der Angst“

MitarbeiterInnen erheben Mobbingvorwürfe gegen Bundeswahlleiter Thiel. Beschäftigte würden niedergemacht.

Wird mit scharfen Vorwürfen konfrontiert: Bundeswahlleiter Georg Thiel Foto: Christian Ditsch

FRANKFURT/MAIN taz | „Ich kenne KollegInnen, die gehen täglich mit Angst ins Amt. Das Vertrauen in die Amtsleitung ist zerrüttet“, sagt ein Referatsleiter des Statistischen Bundesamts (Destatis) im Gespräch mit der taz. Von einem „Klima der Angst, der Überforderung und Vetternwirtschaft“ in dem Amt berichtete zuvor schon der Wiesbadener Kurier. Und die Vorwürfe richten sich nach ganz oben: an Destatis-Präsident ­Georg Thiel, der auch Bundeswahlleiter ist.

„Wer nicht so spurt wie erwartet, den erklärt der Chef für unfähig“

Mitarbeiter bei Destatis

Der Zeitpunkt der öffentlichen Debatte über Thiels Führungsstil ist brisant, denn als Bundeswahlleiter ist er gerade besonders gefordert. Er und seine MitarbeiterInnen müssen für die ordnungsgemäße Abwicklung der Bundestagswahl am 26. September sorgen, für die sichere Auszählung und Übermittlung der Wahlergebnisse, für die Abwehr von möglichen Cyber-Angriffen und für die korrekte Berechnung der Sitzverteilung, einschließlich Überhang- und Ausgleichsmandaten. Am Dienstag will Thiel zu diesen Fragen vor die Presse ­treten. In seiner Behörde aber brodelt es.

Es sind offenbar nicht nur Einzelne, die über Thiels Führungsstil klagen. Der schon erwähnte Destatis-Referatsleiter berichtete der taz, wie eine seiner Vorgesetzten nach einer Besprechung mit dem Chef in Tränen ausgebrochen sei. Die Arbeitsbelastung und der Druck der Amtsleitung seien so hoch, dass einzelne Mitarbeiter freiwillig um ihre Rückstufung gebeten hätten, sagt er.

„Wer nicht spurt, den erklärt der Chef für unfähig“

Ein anderer Mitarbeiter sagt der taz, er sei froh, dass er nicht „im Dunstkreis“ des Präsidenten arbeiten müsse. Thiel habe in den vier Jahren an der Spitze bei der Digitalisierung und Beschleunigung der Arbeit des Amtes zwar einiges erreicht, aber „das geht nicht ohne Menschlichkeit“. Er selbst habe erlebt, wie Thiel über einen abwesenden Kollegen abgelästert habe. „Wer nicht so spurt wie erwartet, den erklärt der Chef für unfähig, der muss weg“, so der Referatsleiter zur taz.

Ein Kritiker postet dazu im anonymen Arbeitgeberbewertungsportal cununu.com: „Das IT-Personal ist unzufrieden, frustriert, demotiviert, verärgert, sorgenvoll bis hin zu verzweifelt. An Tadel und Schuldzuweisung wird nicht gespart, Wertschätzung und Fairness sind nicht existent.“

Auch beim Wiesbadener ­Kurier, der am Stammsitz des Amtes erscheint, sollen sich zahl­reiche Bedienstete mit Klagen gemeldet haben. „­Georg Thiel ist in dieser Funktion nicht länger tragbar“, kommentiert das Blatt das Ergebnis seiner Recherchen.

Thiel reagierte mit Charmeoffensive

Thiel hat die Brisanz der Vorwürfe offenbar erkannt. Noch bevor der erste Zeitungsartikel erschien, startete der Präsident intern eine Charmeoffensive. „Aus Anfragen der Medien wissen wir, dass es unter den Mitarbeitenden Unsicherheit hinsichtlich Führungsstil und Vertrauenskultur gibt“, schrieb der Präsident am 26. Februar an seine 2.600 MitarbeiterInnen und räumte ein, dass es angesichts des hohen Veränderungsdrucks zu hohen Belastungen gekommen sei. „Die Amtsleitung bedauert, dass sich die Kolleginnen und Kollegen auf diesem Weg nicht ausreichend mitgenommen fühlen.“

Nach dem ersten kritischen Bericht im Wiesbadener Kurier gab es für die Destatis-Führungskräfte zusätzlich „Sprachregelungen“. In der Mail, die der taz vorliegt, heißt es: „Die Amtsleitung nimmt die Vorwürfe sehr ernst und setzt nun alles daran, Lösungen zu finden.“ Gleichzeitig wird beschwichtigt, es sei „nur kleiner Teil der Mitarbeiter:innen, die ihre Unzufriedenheit über die Öffentlichkeit ausleben“.

Für einen detaillierten Fragekatalog der taz brauchte die Destatis-Pressestelle drei Tage, um darauf zu reagieren. Die Antwort fiel gleichwohl allgemein aus. „Grundsätzlich handelt es sich hier um interne Angelegenheiten, zu denen wir uns nicht im Detail äußern“, heißt es da. Das Statistische Bundesamt befinde sich unter anderem durch die fortschreitende Digitalisierung in einem erheblichen Transformationsprozess. Ein solcher Veränderungsprozess sei zuweilen auch belastend für MitarbeiterInnen aller Hierarchieebenen. Der Pressesprecher versichert: „Herr Dr. Thiel hat deutlich gemacht, dass er sich der besonderen Verantwortung hier sehr bewusst ist. Deshalb besteht das Angebot und die ausdrückliche Einladung, Dialogformate zum offenen Austausch wahrzunehmen und das direkte Gespräch zu suchen.“

Schon auf früheren Posten gab es Unruhe

Bereits auf früheren Dienstposten hatte Thiel jedoch Unmut von MitarbeiterInnen über seinen Führungsstil auf sich gezogen. So wurde Thiel 2006 „auf eigenen Wunsch“ vom Amt des Präsidenten des Technischen Hilfswerk ins Bundesinnenministerium zurückversetzt, nachdem das Magazin Focus über Mobbing im THW berichtet hatte. Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) nannte die Vorwürfe zwar „haltlos“, löste Thiel aber ab, „um weiteren Schaden von der Organisation abzuwenden“.

Diesmal wäre Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gefragt. Seine Pressestelle beantwortet die Fragen der taz lapidar. Das Ministerium nehme zu „innerbehördlichen Vorgängen grundsätzlich“ nicht öffentlich Stellung. Und: „Das BMI steht im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht mit dem Statistischen Bundesamt in einem engen Austausch. Hierbei werden alle relevanten Themen in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit allen Beteiligten er­örtert und aufgeklärt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen