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Mit trockenen Sprüchen ans Ende der Welt

Auf Fahrrädern von Thüringen bis nach Saigon: Die sympathisch ungewöhnliche Reisedokumentation „Verplant“ hat am Samstag im Lübecker Cinestar Premiere – dem einzigen schon wieder geöffneten Kino

In China stehen die weitgereisten Deutschen hoch im Kurs – für Selfies Foto: Imfilm

Von Wilfried Hippen

Nein, Extremsportler oder auch nur halbwegs kompetente Fahrradfahrer sind sie nicht. Und doch sind Otti und Keule 14.000 Kilometer geradelt, von Thüringen nach Saigon, und das in zehn Monaten. Dass er ein falsches Ersatzventil gekauft hat, merkt Otti dann etwa erst, als er seinen platten Reifen nicht reparieren kann – mitten in der Wüste. Und als die beiden die Bergpässe Usbekistans erreichen, ist dort Winter und sie müssen bei minus 30 Grad ein Außen-Plumpsklo benutzen. Was auf einer Reise zu dramatischen Krisen führen kann: In diesem Film stiftet es die schönsten Momente.

„Verplant – wie zwei Typen versuchen, mit dem Rad nach Saigon zu fahren“, heißt Waldemar Schleichers Dokumentation, die am Samstag im Lübecker Cinestar sogar eine richtige Premiere feiern kann. Vor einer Woche gab es zwar schon eine Online-Premiere – der Film wurde einen Tag lang über „Kino on Demand“ gestreamt. Aber nun ist er auf einer richtigen großen Leinwand zu sehen, persönlich präsentiert von Otti, Keule und dem Regisseur.

Dabei ist eine Auslastung des Saals von 50 Prozent genehmigt und die ZuschauerInnen dürfen die Masken abnehmen, aktueller Coronatest vorausgesetzt. Das gab es seit über einem Jahr in keinem deutschen Kino mehr. Möglich wird es durch das schleswig-holsteinische Modellprojekt Kultur: Seit dem 15. Mai darf das Lübecker Cinestar an den Wochenenden seine insgesamt sieben Säle bespielen – und so ist es in dieser Woche sogar das einzige geöffnete Kino in ganz Deutschland.

Doch der einzige neue Film wird nun „Verplant“ sein. Denn die großen Verleiher haben mit ihren neuen Produktionen diese Chance verpasst: Sie halten ihre Filme größtenteils zurück, bis wieder eine lohnende Verwertung in ausreichend vielen Kinos möglich ist. Doch so ein kleiner unabhängig produzierter Film würde dann untergehen, weiß Inka Milke, die den kleinen Hamburger Verleih „Imfilm“ leitet; und so bringt sie ihn jetzt schon ins Kino.

Ein idealer Zeitpunkt ist dafür nun auch deshalb, weil „Verplant“ ein kleiner Trost für alle bietet, die sich danach sehnen, endlich wieder reisen zu können. Die Situation erinnert an die 1950er-Jahre, als ferne Länder unerreichbare Sehnsuchtsorte waren – und Reisedokumentationen Kassenknüller. Heute hat selbst ein Low-Budget-Film wie „Verplant“ eine geradezu utopische Dimension: 2019 war so eine abenteuerliche Fahrradtour noch möglich. Tatsächlich berichten Tobias John („Otti“) und Matthias Schneemann („Keule“) davon, dass andere, die sich nach ihnen auf ähnliche Fahrten begeben haben, diese abbrechen mussten.

Zum größten Teil besteht „Verplant“ aus Aufnahmen, die Otti und Keule selbst gemacht haben, mit dem Camcorder oder einer am Fahrrad befestigten Minikamera. Nur am Anfang und ganz am Ende begleitete sie ihr alter Freund, Regisseur Schleicher. Er ist ausgebildeter Video-Cutter und hat stolze 170 Stunden Material zu den fertigen 108 Minuten zusammengeschnitten. Er hatte überhaupt auch die Idee, die Fahrt filmisch zu dokumentieren, zuerst als Reisetagebuch bei Youtube, dann in Form eines 20-Minuten-Kurzfilms, der auf internationalen Festivals lief, und nun schließlich als Langfilm.

Schleicher hat zudem die Musik ausgesucht, die nichts kosten durfte, zusammen mit einer Freundin die kurzen Zeichentricksequenzen animiert, die den geplanten und tatsächlichen Verlauf der Reise illustrieren – und Erzähler ist er auch noch: Sein angenehm ironischer Tonfall ist eine der Stärken des Films.

Landschaft oder Sehenswürdigkeiten werden eher nebenbei gezeigt, ein geschwollenes Knie ist wichtiger als ein Bergmassiv

Nötig ist solch eine zusätzliche, distanziertere Perspektive weil Otti und Keule immer mitten im Geschehen sind: Für sie war die Fahrt wichtiger als die Bilder, und so sind ihre Aufnahmen ungeschönt. Da wurde keine Kamera auf die Straße gestellt, an der die beiden dann eindrucksvoll vorbeiradelten. Stattdessen sieht man in meist etwas wackligen Einstellungen, auf welchen Straßen die beiden fahren, was sie essen und trinken, wo sie schlafen und wen sie kennenlernen. Die Landschaften oder gar Sehenswürdigkeiten werden eher nebenbei gezeigt, ein geschwollenes Knie ist wichtiger als ein Bergmassiv. Doch gerade weil diese Aufnahmen so kunstlos sind, wirken sie authentisch.

Im Iran werden Otti und Keule ständig eingeladen, weil dort die Gastfreundschaft so ein hohes Gut ist. In China werden sie ähnlich bedrängt: von Leuten, die Selfies mit den Weitgereisten machen wollen. Von Land und Leuten erfährt man so ausschließlich aus der Perspektive der beiden Reisenden, und auch dies ist eine Stärke des Films, der ähnlich wie Otti und Keule nie die Bodenhaftung verliert. Man fährt da gerne mit – es sind gute Protagonisten, denen man gerne dabei zusieht, wie sie sich abmühen.

Otti und Keule nehmen sich selber nicht zu ernst, und wenn wieder etwas schief läuft, wird es mit einem trockenen Spruch kommentiert. Otti ist der Pechvogel, Keule der Stoiker, und in diesem Sinne funktioniert „Verplant“ auch als witziges Buddy Movie, in dem ein seltsames Paar sich zusammenrauft.

Komisch sind für den Zuschauer auch ihre Schwierigkeiten, Transitvisa für Turkmenistan zu bekommen: Dafür müssen sie einen persönlichen Bittbrief an den Präsidenten schreiben. Als sie auf den verschneiten Pässen von Usbekistan nicht weiter kommen, fahren sie mit einem Taxi an die chinesische Grenze. In der Provinz Xianjiang hat sich China aber in einen extremen Polizeistaat entwickelt, die beiden dürfen keine Aufnahmen machen, und werden irgendwann sogar der Spionage verdächtigt – und weil sie nicht weiterfahren dürfen, fliegen sie. Später dann, in Vietnam, muss dann auch noch ein Boot sie auf eine Insel bringen. Otti und Keule nutzen also beinahe alle möglichen Arten der technisierten Fortbewegung. Aber es ist auch gar nicht weiter tragisch, dass sie sich vom Anspruch, jeden Kilometer selber zu radeln, verabschieden müssen – sie nehmen’s mit Humor. Als sich aber Otti den Fuß vertritt, droht als Konsequenz, auf Mopeds Saigon zu erreichen – und das wäre dann doch eine zu große Schmach. Eine alles entscheidende Krise im letzten Akt also: Besser hätte das auch nicht für ein Drehbuch erfunden werden können.

Premiere in Anwesenheit der Protagonisten und des Regisseurs: Sa, 22. Mai, 20.10 Uhr, Lübeck, Cinestar; anschließend Publikumsgespräch. Weitere Termine: So, 23. Mai, 19 Uhr sowie am Wochenende darauf

www.verplant-film.de

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