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Bremen bewerbt sich als eine von 170 „Host Towns“ für die weltweit größte Sportveranstaltung für Menschen mit geistiger Behinderung. In der Politik hofft man auf inklusive Wirkung über den Sport hinaus
Von Mahé Crüsemann
Bremen bewirbt sich. Zusammen mit Bremerhaven will man 2023 Gastgeberin für eine von 170 Delegationen von Sportler*innen aus aller Welt werden. Zum ersten Mal werden in zwei Jahren die Special Olympics World Games in Deutschland ausgetragen. Es ist die weltgrößte Sportveranstaltung, bei der Menschen mit geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderte gegeneinander antreten.
Auch gemischte Teams mit behinderten und nicht-behinderten Athlet*innen werden sich messen. Austragungsort ist Berlin, hier werden in zwei Jahren bis zu 7.000 Sportler*innen erwartet. Die Organisator*innen haben ein sogenanntes „Host Town Programm“ eingerichtet. Unter dem Motto „170 Nationen – 170 inklusive Kommunen“ sollen die Delegationen aus aller Welt für die Dauer der Spiele in Kommunen im ganzen Land untergebracht werden. Bremen und Bremerhaven möchten dazu gehören. Letzte Woche stimmte die Bürgerschaft für eine Bewerbung als Host Town. Im Herbst diesen Jahres ist Bewerbungsschluss.
„Host Town zu sein bei den Special Olympics World Games, hat eine große Strahlkraft“, sagt Christine Nienaber, Geschäftsstellenleiterin von Special Olympics Bremen (SOB). Dieses Jahr hätten in Bremen eigentlich die alle vier Jahre ausgetragenen Landesspiele der Special Olympics stattfinden sollen. „Die werden dieses Jahr ersatzlos ausfallen – wegen Corona.“ Darum sei sie sehr froh, dass Bremen Teil von den internationalen Spielen in zwei Jahren werden wolle. „Das würde auf jeden Fall viel Aufmerksamkeit für das Land und die Mitmenschen bedeuten“, sagt sie.
Seit seiner Gründung 1991 setzt sich der Special Olympics Deutschland e. V. (SOD) dafür ein, die sportliche Betätigung von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung zu fördern auf Basis der UN-Behindertenrechtskonvention. Die sieht unter anderem eine Verbesserung der Teilhabe vor – das bedeutet mehr Wahlmöglichkeiten und ein einfacherer Zugang zu Sportangeboten für geistig Behinderte. Und das würde gleichzeitig mehr Teilhabe an der Gesellschaft bedeuten, heißt es auf der Website der SOD. Während bei den Paralympics der Fokus auf Sport von Menschen mit Körper- und Sinnesbehinderungen liegt, messen sich bei den Special Olympics primär Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung.
„In Bremen finden zwar keine Spiele statt, aber es muss hier natürlich Trainingsmöglichkeiten für die Athlet*innen geben“, sagt Christine Nienaber. Ein Sportverein müsse dafür barrierefrei sein. „Und ‚barrierefrei‘ bedeutet nicht nur eine Rollstuhlrampe, sondern auch Barrierefreiheit im Kopf“, sagt sie. Dafür müssten Vereine sich öffnen. In Bremen sei das aber glücklicherweise bei den meisten bereits der Fall. „Es ist natürlich immer noch Luft nach oben“, sagt Nienaber. „Aber Bremen ist in vielen Bereichen schon barrierefrei, das sind gute Voraussetzungen.“
Welche Größe die Delegation haben wird, die im Sommer 2023 in Bremen aufgenommen wird und aus welchen Land die Athlet*innen kommen werden, ist noch offen. Die Teamgrößen der unterschiedlichen Länder reichen von sechs bis zu 400 Mitgliedern. Sollte Bremen Host Town für eine der Delegationen werden, sei man aber in jeden Fall vorbereitet, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozial- und Sportsenatorin Anja Stahmann (Grüne).
„Die Federführung bei der Bewerbung hat das Sportamt“, sagt er. Wen man in den verschiedenen Konzeptphasen noch mit einbinde, werde sich noch zeigen. Auch was die Kosten angeht, gebe es noch keine Entscheidung. „Das Konzept wird so gefasst, dass es sich im Haushalt darstellen lässt“, sagt Schneider.
Christine Nienaber, Special Olympics Bremen
Arne Frankenstein ist Jurist und Landesbehindertenbeauftragter in Bremen. Erst seit Anfang Mai im Amt, ist er erst der zweite, der den Posten in Bremen bisher überhaupt innehatte. Frankenstein freut sich über den Entschluss Bremens, sich als Host Town für die SOD zu bewerben: „Durch seine Bewerbung macht Bremen deutlich, dass behinderte Menschen aus aller Welt bei uns willkommen sind“, sagt er.
Wie Christine Nienaber vom SOB hält auch er das inklusive Sportangebot in Bremen schon für sehr gut. „Wichtig wäre aus meiner Sicht, das Selbstverständnis im Breitensport dahingehend zu verändern, dass gemeinsames Sporttreiben von Menschen mit und ohne Behinderung von der Ausnahme zur Regel wird“, sagt er.
Die Weltspiele böten eine tolle Gelegenheit, das Potenzial von Inklusion durch Sport sichtbar zu machen. Man könne über die Bedingungen ins Gespräch kommen, die wir gemeinsam brauchen, um gut zusammenzuleben. „Ich wünsche mir, dass damit auch ein Signal für die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen verbunden ist, das über den Sport hinausgeht“, sagt er. „Eine inklusive Gesellschaft werden wir nur dann, wenn behinderte und nichtbehinderte Menschen überall ihre Lebenswelten teilen.“
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