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Paradiesvögel in Strick

Nach mehreren Verzögerungen nun doch geöffnet: die Retrospektive der Berliner Modedesignerin Claudia Skoda im Kulturforum. Die Ausstellung ist nicht zuletzt ein Ausflug ins Westberlin der 70er und 80er Jahre

Rüdiger Trautsch, Ohne Titel (Modenschau Big Birds, Alte Kongresshalle), Abzug auf technischem Papier, 1979 Foto: Rüdiger Trautsch

Von Beate Scheder

Sie flattern und stolzieren, hüpfen und schreiten, schwingen sich am Trapez hin und her, wie große Vögel eben, Paradiesvögel, hinter und zwischen käfigartigen Bauzäunen: die Models aus Claudia Skodas Schau „Big Birds“ im Jahr 1979. Die Haare haben sie wild auftoupiert oder unter silbrigen Perücken verborgen, am Körper tragen sie Skodas neueste Entwürfe, flamboyante Strickmode, körpernah oder übergroß, mit wilden grafischen Mustern und ebensolches Bodypainting.

Wie spektakulär es gewesen sein muss, bei der Präsentation von „Big Birds“ in der damaligen Kongresshalle (dem heutigen HKW), davon gibt gleich zu Beginn der Ausstellung „Claudia Skoda. Dressed to Thrill“ im Kulturforum ein Super-8-Mitschnitt einen kleinen Einblick. Skoda, so heißt es, hätte ihre Models vor der Schau in den Zoologischen Garten geschickt, um sich die Bewegungsweisen der Tiere einzuprägen und anzueignen. Heute kennt man aufwändige thematische Inszenierungen von den großen Modehäusern aus Paris, Mailand oder New York, in den 1970ern war Skoda mit ihren Schauen, die eher multimedialen Happenings ähnelten, ihrer Zeit weit voraus.

Wie die Berliner Designerin diese konkret plante, ist in der Ausstellung im Kulturforum, die nach mehreren Verzögerungen Mitte April öffnen konnte, ebenfalls zu erfahren. Große Bögen mit Notizen hängen da, auf denen Skoda und Manuel Göttsching die Choreografie skizzierten – Göttsching, Mitbegründer der legendären Krautrockformation Ash Ra Tempel, war viele Jahre für die musikalische Untermalung der Modenschauen verantwortlich. „Kranke Posen“ zu „blau flackerndem Licht“, „chaotischer Musik, Sirene, Herzschrittmacher“, ist beispielsweise vermerkt.

Die beiden Kuratorinnen, Britta Bommert und Marie Arleth Skov, haben sich intensiv mit dem persönlichen Archiv Claudia Skodas auseinandergesetzt, eng mit der Künstlerin selbst zusammengearbeitet und Stücke aus privaten Sammlungen ausgeliehen. Der Ausstellung ist das anzumerken. Aus Filmmaterial, Super-8-Filmen und Fernsehbeiträgen, aus Fotos, Einladungskarten, Plakaten und natürlich mit Skodas Strickmode ergibt sich ein vielfältiges Bild der Designerin. Sie schrieb mit ihren Kollektionen nicht nur Geschichte, sondern war auch eine Schlüsselfigur für die Westberliner Avantgarde.

Sogar der Original-Fußboden ist zu sehen, der von Martin Kippenberger, der in Skodas Kreuzberger Künstler-WG, einer Loft-Etage an der Zossener Straße eine Zeitlang wohnte, aus Tausenden Fotografien zusammengesetzt ist: „Eine Woche aus dem Intimleben der Fam. Skoda und Freundeskreis“. Damals war der Boden der Laufsteg, über den die Models in Skodas Entwürfen tanzten. In der Ausstellung ist wieder Mode darauf zu sehen, nur eben an Puppen. Die Modelle stammen aus Skodas Archiv und aus dem Privatbesitz ihrer Stammkund*innen. Schlauchkleider mit Lochmuster aus Lurexgarn, ein Netzzweiteiler mit Schalkragen, Kleider mit Fledermausärmeln und grafischen Mustern, ein pinkfarbenes Kleid mit Schlangenoptik und Stehkragen aus dem Jahr 1976, das auch 2021 seine Trägerin noch fantastisch kleiden würde, herrliche Stücke allesamt, an denen sich die Experimentierfreude ihrer Designerin ablesen lässt. Dass sie außerdem unglaublich gut erhalten scheinen, spricht für ihre Qualität, aber auch für die Wertschätzung, die ihnen von ihren Be­sit­ze­r*in­nen entgegengebracht wird.

Herrliche Stücke erzählen von der Experimentierfreude ihrer Designerin

So ist es auch bei den Pullovern aus der Edition „Master­pieces“ der Fall, entstanden 1986, in Zusammenarbeit mit den Ma­le­r*in­nen der Neuen Wilden von der ehemaligen Galerie am Moritzplatz – Kunst zum Anziehen, in Strick übersetzte Malerei, tragbare Beispiele für Skodas enge Verbundenheit mit Kunst und Kunstszene.

Die zeigt sich auch in den Fotografien. Wieder von Kippenberger stammen die Schwarz-Weiß-Fotografien, die Skoda selbst im U-Bahnhof Kottbusser Tor zeigen. Skoda posiert darauf mit der Strickmaschine, als handle es sich nicht um ein Werkzeug der Textilproduktion, sondern um die E-Gitarre eines Rockstars. Kaum satt sehen kann man sich an all den überinszenierten Aufnahmen von Tabea Blumenschein, Ulrike Ottinger, Jenny Capitain und Skoda selbst aus den sogenannten Nachtsessions, bei denen diese in immer neue Rollen schlüpften. Oder an den Porträtserien und Modefotografien, aufgenommen von Luciano Castelli, Silke Grossmann, Esther Friedman oder anderen. Glamourös sind sie und ranzig zugleich, ein bisschen so, wie die Wände im Hintergrund der Ausstellung gestrichen sind: so grau wie Asphalt – aber mit einem Hauch Glitzer.

Die Ausstellung ist vieles zugleich, Retrospektive und Lektion in Modegeschichte, Fotoausstellung und Ausflug ins Westberlin der 70er und 80er Jahre, sehenswert in jeden Fall.

Bis 18. 7., Kulturforum, Besuch mit Zeitfensterticket und tagesaktuellem negativem Schnelltest

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