Spanische Fußball-Meisterschaft: Finale in der Hitchcock-Liga
Im spannendsten spanischen Meisterschaftskampf seit Menschengedenken hadert ausgerechnet Real Madrid mit den Unparteiischen.
Wenn Schiedsrichter nachts von Albträumen geplagt werden, müssen diese ziemlich genau so aussehen: In einer Schlüsselpartie für die Meisterschaft gibt es beim Stand von Unentschieden eine Viertelstunde vor Schluss ein Handspiel im Strafraum, doch der Ball läuft erst mal weiter und im Gegenzug kommt es zu einem Foulspiel im anderen Strafraum.
Der Videoassistent ruft den Schiedsrichter an den Monitor und der muss nun bestimmen, wer den Elfmeter kriegt. Zu allem Überfluss ist eines der beteiligten Teams auch noch Real Madrid, dessen mächtige Medienlautsprecher jedes Unparteiischendasein auf Jahre zur Hölle machen können. Spätestens angesichts dieses Szenarios würde jeder Schiedsrichter schweißgebadet aufwachen.
Juan Martínez Munuera allerdings befand sich weiterhin vor dem Monitor, er hatte das am Sonntagabend wirklich zu entscheiden – und tat es tollkühn: Er ahndete das Handspiel von Reals Militão, was den von Sevillas Torwart Bono an Karim Benzema verursachten Foulelfmeter annullierte und Ivan Rakitić die 2:1-Führung für die Gäste ermöglichte.
Zwar glich Madrid mit einem durch Eden Hazard abgefälschten Fernschuss von Toni Kroos noch aus, doch das war allenfalls ein Trostpreis für einen insgesamt überlegenen Auftritt und vor allem mathematisch zu wenig: Mit einem Sieg hätte Real die Tabellenspitze übernommen und sie wegen des gewonnen direkten Vergleichs gegen Stadtrivale Atlético auch aus eigener Kraft verteidigen können. Nun bleibt es mit 75 Punkten hintendran, obwohl Atlético (77) im anderen Spitzenspiel bei Barcelona (75) auch nur Remis (0:0) gespielt hatte. Drei Runden vor Schluss eliminierte der späte Ausgleich allerdings wohl schon mal Sevilla (71) aus Spaniens spannendstem Meisterkampf seit Menschengedenken.
Folklore der Verschwörungstheorie
In dem geht es nicht immer hochkarätig zu, alle Teams wirken coronaüberspielt, und befinden sich größtenteils ohnehin im Umbruch. Das sorgt andererseits für mehr Unvorhersehbarkeit und wird nun also auch durch jenen Mix aus Dauerdebatte und Verschwörungstheorie garniert, der in Spanien schon aus Folklore dazugehört. „Beunruhigt“ sei er, erklärte Real-Klubdirektor Emilio Butragueño angesichts fehlenden Schiedsrichterglücks in den letzten Wochen und erging sich somit in ebenjenen düsteren Andeutungen, die das Heer klubnaher Journalisten sogleich zu einer Anklage gegen eine vermeintlich systematische Benachteiligung Reals ausschmückte. Womit der sonst auf Gegnerseite übliche Diskurs umgedreht wird, nachdem die Madrilenen stets systematisch bevorzugt werden.
Über den Vorfall an sich – unabsichtliches Handspiel bei allerdings weit ausgefahrenem Arm – streiten Gelehrte wie Fußvolk seit Jahrzehnten, ob mit oder ohne Var und trotz diverser Regelüberarbeitungen. „Es ist Hand und ändert die Richtung des Balles, so was ist immer Elfmeter“, schlug Rakitić als Kriterium vor, während Real-Trainer Zinédine Zidane noch mal Munuera zum Zwiegespräch aufsuchte. „Mit Reden versteht man sich“, twitterte dazu spöttisch Gerard Piqué aus Barcelona, der Auftritt des Barça-Verteidigers darf im klassischen Polemik-Skript von La Liga nie fehlen. Doch Zidane, einer der wenigen, die sonst ihre Beteuerungen der guten Tage („Rede grundsätzlich nicht über den Schiedsrichter“) auch an den schlechten Tagen ehren, erklärte sich später für „überhaupt nicht überzeugt“ und beharrte: „Ich bin sauer.“
Fortsetzung folgt bestimmt in der „Hitchcock-Liga“ („El País“), Barcelona spielt wieder am Dienstag, am Donnerstag Real und zwischendrin Spitzenreiter Atlético. Die Nerven sind angespannt, überall, weshalb sich Barça-Trainer Ronald Koeman am Sonntag lieber einen Maulkorb zum alten, doch immer jungen Thema verpasste: „Wenn einer besser nicht über die Referees spricht, dann ich.“ Koeman kommt gerade von einer Zwei-Spiele-Sperre zurück. Wegen Schiedsrichterbeleidigung.
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