: Hrubesch soll HSV retten
Der 70-jährige Ex-Spieler nimmt für die letzten drei Spiele Platz auf der Trainerbank, um den Verein doch noch zum Aufstieg zu führen. Das Rätsel des Leistungsabfalls bleibt
Von Daniel Jovanov
Als Horst Hrubesch im vergangenen Sommer beim Hamburger SV einen Vertrag als Nachwuchsdirektor unterschrieb, ahnten einige wenige schon, dass es bei dieser Aufgabe allein nicht bleiben würde. Man traut den Rothosen inzwischen ja vieles zu: dass sie mindestens einmal pro Saison den Trainer wechseln, manchmal auch den Vorstand, das Präsidium und den Aufsichtsrat gleich mit.
Seine 70-jährige Ikone Hrubesch drei Spieltage vor Saisonende noch mal auf die Trainerbank zu setzen, obwohl die Chance auf den Aufstieg minimal ist, übertraf allerdings selbst die Erwartungen derer, die ahnten, der HSV würde noch mal auf Hrubesch zurückgreifen müssen. Aber unter diesen Umständen? Mit dem Rücken zur Wand? Warum tut man ihm das an? Der Reihe nach.
Vor knapp zwei Wochen traf der HSV auf den Karlsruher SC und hatte vier Spiele in Folge nicht mehr gewonnen. Die Mannschaft von Trainer Daniel Thioune war in der Rückrunde eingebrochen, Thioune wollte in dem wichtigen Duell „All-In“ gehen. Er bekam nur ein 1:1. Aus den letzten zwölf Spielen gewann der HSV nur zwei. Mit so einer schlechten Form steigt man nicht auf. Einen Tag nach dem enttäuschenden Remis trat der sonst eher unsichtbare Sportvorstand Jonas Boldt vor die Presse, um seinem Trainer den Rücken zu stärken.
Man habe sich ganz bewusst für den Weg Entwicklung entschieden und werde an Thioune festhalten, sagte Bold. Dieser Weg fange bei ihm an, gehe bei Sportdirektor Michael Mutzel, dem Trainer Thioune und der Mannschaft weiter und höre im Nachwuchs auf. „Nur so bekommt man eine Kulturveränderung in den Club“, sagte Boldt.
Schlaue Sätze, die aber wenige Tage später schon wieder ihre Gültigkeit verloren. Boldt und sein Sportdirektor hatten intern viele Gespräche geführt und die Lage neu bewertet. „Der Eindruck hat sich verfestigt, dass die Distanz zwischen Daniel Thioune und der Mannschaft zu groß geworden ist“, führte der Manager aus. „Wir liefen Gefahr, die Saison austrudeln zu lassen und bei uns viel kaputtzumachen.“
Trainer Thioune habe die Konsequenz und klare Linie bei der Mannschaftsführung verloren. Dieser Einschätzung widersprach der 46-Jährige kurz nach seiner Freistellung. „Ich glaube, dass ich in vielen Momenten gezeigt habe, dass ich eine Mannschaft erfolgreich führen kann“, sagte Thioune dem NDR.
Über den plötzlichen Sinneswandel der sportlichen Leitung war der Trainer überrascht: „Mein Team und ich haben uns klare Ziele gesetzt, die wir spätestens in der kommenden Saison erreichen wollten“, sagte Thioune. Wenn man über Entwicklung rede, brauche man auch Geduld und eine Toleranz für Rückschläge.
Jonas Boldt, HSV-Sportvorstand
Allerdings muss er sich vorwerfen lassen, dass seine vielen taktischen Experimente und sein Schlingerkurs bei Aufstellungen, Ein- und Auswechslungen für Unruhe in der Kabine gesorgt haben. Nun alles wieder am Trainer festmachen zu wollen, wäre jedoch der falsche Ansatz.
Denn der HSV hat in den vergangenen Jahren alle möglichen Trainer-Typen ausprobiert: von jung und progressiv bis hin zu internationaler Erfahrung war fast alles dabei. Gebracht haben die Wechsel im Ergebnis nichts. Was zu der Frage führt: Was ist die wirkliche Ursache dafür, dass Trainer, Spieler und Funktionäre nach einer gewissen Eingewöhnungszeit immer schlechtere Entscheidungen treffen?
Auch der Sportvorstand Boldt hat dafür keine Antwort gefunden. Der 39-Jährige verantwortet nun schon den zweiten von insgesamt drei Aufstiegsversuchen, der zu scheitern droht. Einen dritten Versuch wird Boldt höchstwahrscheinlich nicht bekommen. Im Sommer wird ein neues Präsidium gewählt, was die Machtverhältnisse in den Gremien erneut verschieben könnte.
Deshalb ist die Entscheidung, Hrubesch auf die Bank zu setzen, die strategisch einzig logische. Damit hat Sportvorstand Boldt vielen Fans einen lang ersehnten Traum erfüllt –und sich selbst noch ein wenig Zeit verschafft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen