piwik no script img

Schön war die gute alte Zeit

PUNK-IKONE Die New Yorker Musikerin Patti Smith erinnerte im ausverkauften Tempodrom bei ihrem Konzert am Mittwochabend vor allem an ihre glorreiche Vergangenheit. Die neuen Songs kamen da nicht ganz ran

Hits müssen bei einer Ikone dabei sein, außer sie bricht mit ihrer Vergangenheit

VON TIM CASPAR BOEHME

Manche Künstler rauben einem auch die letzte Illusion. Patti Smith etwa, als „Godmother of Punk“ gefeierte 65 Jahre alte New Yorker Musikerin mit wilder Vergangenheit, hatte ihr Konzert im ausverkauften Tempodrom am Mittwoch pünktlich begonnen, verschwand zunächst aber immer wieder zwischen den Stücken an den Bühnenrand ins Dunkel.

Die mysteriösen Abgänge wollte sie dann lieber nicht unerklärt lassen: „Ich habe keine Drogen genommen“, ließ sie alle Neugierigen wissen. „Das war Salzwasser-Nasenspray.“ Und warnte schon mal vorsorglich, dass sie ihrer Erkältung wegen möglicherweise im Lauf des Abends irgendwann wie ein Frosch klingen könnte.

Wacker durchs Programm

Ganz so schlimm kam es dann zum Glück nicht, die mit zahlreichen Auszeichnungen bis zur Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame geehrte Ikone schlug sich wacker durchs Programm, das aus bewährten Klassikern und Stücken ihres aktuellen Albums „Banga“ bestand. Doch bei alledem dominierte der Blick zurück, seien es die neuen Nummern, die oft Verstorbenen gewidmet sind wie Amy Winehouse oder Christoph Schlingensief – „er hat uns so viel hinterlassen, aber er hat uns zu früh verlassen“ –, oder ihre immer wieder ins Gedenken an die guten alten Tage umschlagenden Ansagen.

So erinnerte Smith mehrfach an die schöne Zeit im legendären New Yorker Punk-Club CBGB’s, wie sie 1974 jeden Sonntag dorthin pilgerte, um dem Gitarrenspiel ihres damaligen Liebhabers Tom Verlaines von der befreundeten Band Television zu lauschen. Oder erwähnte beim Song „Distant Fingers“ ausdrücklich, dass sie den ja nicht oft spielten, dass er aber dem Schriftsteller William Burroughs gefallen habe, als sie ihn früher im – genau – CBGB’s spielten. „Er wäre bestimmt sehr stolz.“ Das wäre alles gar nicht nötig gewesen, denn das Material vom neuen Album kann auch so bestehen, ihre Single „April Fool“ überzeugt mit einer Mischung aus zurückgelehnter Abgeklärtheit und einer am Rande der Resignation balancierenden Leidenschaft: „Come, we’ll break all the rules“ – das mag leichtfertig dahingesagt klingen, von Smith mit brüchiger Stimme gesungen, schwingt aber zugleich ein Wissen um die Vergeblichkeit des großen Ausbruchs mit.

An anderer Stelle fragt man sich hingegen, ob da nicht doch eine Aufrechte den großen Umsturz herbeisingen möchte, in „Rock N Roll Nigger“ etwa, ihrer einzigen Zugabe nach anderthalb Stunden, die dafür eine geschlagene Viertelstunde auf höchstem Energielevel rockt. Die Erkältung scheint vergessen, auch der Patzer bei ihrer Hymne „Because the Night“, zu der sie zweimal ansetzen musste. Nein, am Schluss hat sie sich richtig warm gespielt, ist dann aber so sehr in Fahrt, dass sie zur großen Predigt ansetzen muss. Gegen „die Konzerne“ wird Stimmung gemacht, die sich ja nur mächtig wähnten: „The people united could fucking crush them all!“

Viel Sendungsbewusstsein

Und als wäre das noch nicht genug, schickte sie mit kräftigem Sendungsbewusstsein die sehr amerikanische Phrase „We are the future and the future is now!“ hinterher.

Nachdem sie zuvor den Eindruck erweckt hatte, ihre Gegenwart finde eher in der Vergangenheit statt, wollte man ihr das eigentlich kaum abnehmen.Gejubelt wurde trotzdem, auch völlig zu Recht, denn ihrer Bedeutung können solche unfreiwillig komischen Gesten wenig anhaben. Man hätte sich bloß gewünscht, Patti Smith hätte einfach ihre neuen Songs gespielt, abgerundet um ein paar ruhige Nummern, und sich nicht den Versuchungen der Nostalgie hingegeben.

Was natürlich nicht geht: Die Hits müssen bei einer Ikone eben immer dabei sein. Es sei denn, sie hat den Mut, mit der Vergangenheit zu brechen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen