: Mitbestimmen bleibt schwierig
Die Linke will Volksbegehren auf Stadtteilebene. Und sie fordert, dass alle Menschen in ihrem Quartier wählen dürfen – also auch Nicht-EU-Bürger:innen. Beides ist schwer umzusetzen
Von Jan Zier
Wer in Bremen lebt, aber keinenEU-Pass besitzt, soll trotzdem die Beiräte wählen können. Außerdem soll es Volksbegehren auf Beiratsebene geben. Das zumindest fordert die Linkspartei in einem soeben beschlossenen Positionspapier.
„Alle Menschen sollten über das Leben in ihren Quartieren mitbestimmen können“, sagt Olaf Zimmer, der beirätepolitische Sprecher der Linksfraktion. Hintergrund des Vorstoßes ist die anstehende Novellierung des Beiräte-Gesetzes.
Das allerdings darf den Ausländer:innen von außerhalb der EU gar kein Wahlrecht einräumen. Das hat der Bremer Staatsgerichtshof schon 2014 klipp und klar entschieden: „Die Beiräte üben Staatsgewalt aus“, heißt es in dem Urteil, deswegen sei es „nicht zulässig, Drittstaatsangehörigen ein Wahlrecht zu den Beiräten zu gewähren“. Der Landesgesetzgeber habe da auch „keine Regelungsspielräume“ – zuständig wäre der Bund.
„Die Idee würde bei uns auf fruchtbaren Boden fallen“, sagt der beirätepolitische Sprecher der Grünen, Ralph Saxe – aber die Rechtsprechung stünde eben dagegen. Bei der Initiative „Mehr Demokratie“ verweist man ebenfalls auf das Urteil – ist aber prinzipiell dennoch dafür, dass alle, die mindestens fünf Jahre lang rechtmäßig in Deutschland leben, die Stadtteilparlamente mit wählen dürfen.
Auch Olaf Zimmer kennt die Entscheidung des Staatsgerichtshofes, verweist aber sogleich auf eine abweichende Meinung, die es seinerzeit unter den Richter:innen gab. Er findet es „nicht nachvollziehbar“, wieso nicht alle Menschen auf Quartiersebene wählen dürfen – und will eine „breite gesellschaftliche Debatte“ darüber anstoßen, wie er sagt.
Die Linke hat noch weitere Pläne für die Ausweitung der Mitbestimmung auf sublokaler Ebene: Mit der Idee eines Volksbegehrens auf Stadtteilebene will sie „Bremer:innen die Möglichkeit geben, über Probleme, die nur ihren Stadtteil betreffen, abzustimmen“. Denn gegen den Rückzug ins Private helfe nur mehr echte Mitbestimmung, findet Zimmer. Allerdings dürften keine stadtteilübergreifenden Themen wie die A 281 oder die Bebauung der Galopprennbahn zur Abstimmung stehen, sondern nur kleinteilige Themen, Spielplätze etwa.
Ralph Saxe hat „großen Zweifel“, ob diese Abgrenzung am Ende praktikabel ist: „Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll“, sagt Saxe, und betont, dass auch die Grünen die Mitbestimmung der Bürger:innen „erleichtern“ wollen. Die Stadtteile seien da aber „eine viel zu formale Abgrenzung“. Mehr Demokratie wiederum hält die Idee der Linkspartei für „nicht so zielführend“ – Bürgerentscheide im Stadtteil seien nur sinnvoll, wenn die Beiräte auch mehr Kompetenzen hätten. Mehr Demokratie schlägt statt dessen Bürgerräte vor, wie es sie jüngst als bundesweite, losbasierte Bürgerversammlung gab – ein Experiment mit 160 Menschen, die dann über „Deutschlands Rolle in der Welt“ reden durften. Ähnliche und repräsentativ besetzte Versammlungen ließen sich auch in Quartieren organisieren, findet Mehr Demokratie.
Staatsgerichtshof Bremen, Urteil vom 31. Januar 2014
Die Linke möchte lieber die bisherigen Beteiligungsrechte der Stadtteilparlamente „weitgehend in Entscheidungs- und Zustimmungsrechte aufwerten“, heißt es in ihrem Positionspapier. Die SPD hingegen hat zu all dem noch gar keine Meinung: Man sei im Austausch mit den Beirät:innen und spreche mit ihnen darüber, „welche Notwendigkeiten und Möglichkeiten sie sehen“, sagt der SPD-Fraktionschef Mustafa Güngör. Diese Gespräche wolle man zunächst abwarten und sich erst danach eine Meinung bilden.
„Volksbegehren auf Stadtteilebene: Das hört sich gut an, hat aber seine Tücken“, sagt derweil der emeritierte Politikwissenschaftler Lothar Probst von der Uni Bremen. Es gebe selten Dinge, die wirklich nur einen Stadtteil beträfen, wie sich etwa an der Debatte um die Galopprennbahn zeige, oder an jener um die zu fällenden Platanen am Weserdeich. „Insofern wäre ich skeptisch, der Stadtteilbevölkerung über Volksbegehren in Aussicht zu stellen, sie betreffende Dinge entscheiden zu können“, so Probst. Jedoch hätten die Beiräte seit der letzten Reform des Beirätegesetzes „vielfältige Mitwirkungsrechte, die nach meinem Eindruck und persönlichen Erfahrungen nicht immer so ausgeschöpft werden, wie das möglich wäre“, so Probst.
Der Politikwissenschaftler fände es besser, wenn die Kompetenzen der Beiräte in der Landesverfassung reformiert würden: De facto seien sie zwar Bezirksvertretungen, doch man gestehe ihnen „nur amputierte Rechte“ zu – und auch von den senatorischen Fachbehörden in Bremen würden sie „häufig ignoriert“.
Einige Ideen der Linkspartei gehen sogar noch weiter: Sie überlegt, ob die Stadtbürgerschaft „perspektivisch aufgelöst“ und durch vier oder fünf Bezirksparlamente ersetzt werden kann, wie es sie in Hamburg oder Berlin gibt. Doch nicht mal die Linke selbst weiß, ob sie das wirklich wollen soll. Und Ralf Saxe sagt nur: „Das ist aussichtslos.“
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