piwik no script img

Grünen-Kandidatinnen über ihre Profile„Der Typ Macherin“

Mit Sina Demirhan und Maryam Blumenthal bewerben sich zwei Frauen mit Migrationsgeschichte um den Landesvorsitz der Hamburger Grünen.

Wollen die grüne Partei in Hamburg führen: Sina Demirhan (links) und Maryam Blumenthal Foto: Andrea Kueppers
Marco Carini
Interview von Marco Carini

taz: Frau Blumenthal, Frau Demirhan – was treibt Sie an, Landesvorsitzende der Hamburger Grünen werden zu wollen?

Sina Demirhan: Ich bin seit zehn Jahren bei den Grünen, war für sie in der Bezirksversammlung Eimsbüttel, bin in der Bürgerschaft und seit zwei Jahren im Landesvorstand. Dieses Engagement möchte ich fortführen und ausweiten. Deshalb mache ich der Partei ein Angebot.

Maryan Blumenthal: Wir haben 3.700 motivierte Mitglieder, die viel Kompetenz in die Partei einbringen, und sind in Hamburg eine nicht mehr wegzudenkende Regierungspartei. Ich möchte dazu beitragen, dass wir beides zusammenbringen und dabei unser inhaltliches Profil schärfen.

Warum sind Sie die Idealbesetzung?

Blumenthal: Ich lebe seit über 23 Jahren in Hamburg, als Kind einer Flüchtlingsfamilie, ehemalige Hartz-IV-Empfängerin und heute Mutter dreier Kinder, die in den schmucken Walddörfern wohnt. Mein Blick auf die Stadtgesellschaft und die Hamburger Grünen ist ein langjähriger und sehr differenzierter. Genau das brauchen wir jetzt.

Demirhan: Ich habe eine sehr moderative Art und kann unterschiedliche Positionen gut zusammenbringen, scheue mich aber auch nicht, Konflikte anzusprechen. Das ist meine Stärke.

Welche Herausforderung erwächst aus dem Mitgliederwachstum?

Demirhan: In einer Phase des ungeheuren Mitgliederwachstums geht es darum, unsere Strukturen so zu entwickeln, dass alle Mitglieder mit ihren unterschiedlichen politischen Ideen sich in die Partei einbringen können.

Blumenthal: Die Menschen kommen zu uns, weil sie nicht mehr auf der Couch meckern, sondern die Ärmel hochkrempeln, gestalten und unsere Programmatik weiterentwickeln wollen. Sie bringen viel Expertise mit. Gemeinsam müssen wir noch klarer herausstellen, welchen Unterschied es macht, grün zu wählen.

Im Interview: Maryam Blumenthal

Maryam Blumenthal 35, kam 1987 mit ihrer Familie als Geflüchtete aus Teheran nach Deutschland und ist seit 1998 Hamburgerin. Sie lebte 17 Jahre in Steilshoop. Seit 2020 ist sie Abgeordnete der Bürgerschaft.

Was sind die Themen, die Sie in der Partei voranbringen möchten?

Blumenthal: Wir haben uns deutlich bei den Themen Mobilitätswende, Klima und Umwelt sowie Wissenschaft profiliert. Jetzt müssen wir die ökologische und die soziale Frage enger miteinander verketten und daraus ein großes Gesamtpaket machen.

Demirhan: Es geht darum, dass Hamburg eine klimaneutrale Stadt der sozialen Gerechtigkeit wird. Dabei müssen wir inhaltliche Radikalität und Regierungsfähigkeit noch besser unter einen Hut, und das, was auf der Straße diskutiert wird, ins Parlament bringen.

Landeschefin zu sein, heißt, Konflikte zu kitten – welche kommunikativen Kompetenzen zeichnen Sie aus?

Demirhan: Ich versuche immer zu ergründen, warum jemand eine bestimmte Position vertritt und wo es Kompromisslinien zwischen Positionen gibt. Mich zeichnet aus, dass ich in schwierigen Verhandlungssituationen einen kühlen Kopf bewahre und die Interessen zusammenbringen kann.

Blumenthal: Ich stehe dafür, mit einem Ergebnis nach Hause zu kommen – bin der Typ Macherin. Das habe ich in der Vergangenheit oft bewiesen. Ich bin ergebnisorientiert und habe als bekennende Reala einen guten Zugang zu allen Parteiebenen, weil ich immer offen bin für andere Gedanken. Politische Inhalte zu diskutieren und zu einen, ist meine große Leidenschaft.

Im Interview: 

Sina Demirhan 26, ist seit 2019 Mitglied des Hamburger Landesvorstands der Grünen und seit 2020 Bürgerschaftsabgeordnete. Sie studierte Politik, Sozialwissenschaften und Deutsch in Hamburg und Berlin.

Was hat Sie motiviert, bei den Grünen einzutreten?

Demirhan: Ich bin 2010 aus umweltpolitischen und sozialen Gründen Mitglied geworden, weil ich in der Nähe des AKW Krümmel aufgewachsen bin. Die sogenannten Gastarbeiter mussten hier unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Dazu kam der Kampf gegen rechts. Ich habe Schmähschriften der NPD in meinem Briefkasten gefunden, mit der Aufforderung, in meine Heimat zurückzukehren – wo immer das sein soll.

Blumenthal: Ich habe vor zehn Jahren die Grünen im Wahlkampf etwas unterstützt. Dann hieß es vor der Bezirks-Wahl: Wir brauchen Frauen auf der Liste. Also habe ich mich da draufsetzen lassen. Dann wurde ich überraschend gewählt und landete in einer Welt, die ich nicht kannte. Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich verstanden habe, dass ich das kann. Genau deshalb brauchen wir die Frauenquote.

Haben Sie aufgrund Ihrer Migrationsgeschichte innerhalb der Grünen eine Sonderbehandlung erfahren?

Blumenthal: Das hat keine Rolle gespielt. Nicht meine Fluchtgeschichte, sondern mein sozialer Hintergrund, die Frage, aus welchem Stadtteil ich kam, oder dass ich ehemalige Hartz-IV-Empfängerin war, hat es mir manchmal schwer gemacht. Ich bin anders sozialisiert und habe oft eine andere Sprache als meine Kolleg*innen, direkter und manchmal kritischer.

Demirhan: Ich hatte mitunter das Gefühl, dass meine Migrationsgeschichte auch in meiner Partei eine Rolle gespielt hat und es dadurch Barrieren gegeben hat. Wir haben inzwischen ein Vielfaltsstatut und wollen mehr Menschen mit Diversitätsmerkmalen die Chance geben, bei den Grünen anzukommen. Heute sind wir in der komfortablen Situation, dass zwei Frauen mit Migrationsgeschichte den Anspruch anmelden, die Führung dieser Partei zu übernehmen.

Was muss passieren, damit Menschen mit Migrationsgeschichte in politischen Führungspositionen vertreten sind, wie es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht?

Blumenthal: Wir brauchen Vorbilder, mehr Menschen mit einer Migrationsgeschichte, die sich engagieren. Aber es geht nicht nur um Migration: Wel­che*r Bürgerschaftsabgeordnete war schon mal auf Hartz IV angewiesen, hat keinen Schulabschluss oder ist alleinerziehend?! Das alles sind Herausforderungen, wenn Parlamente ein Abbild der Gesellschaft werden sollen.

Demirhan: Vorbilder sind wichtig, reichen aber nicht aus. Wir müssen Strukturen aufbrechen, so dafür sorgen, dass in den Parlamenten nicht nur Aka­de­mi­ke­r*in­nen sitzen und sie diverser werden. Das fängt bei der Sprache an: Wenn so verklausuliert geredet wird, dass keiner versteht, worüber wir debattieren, schließen wir Menschen aus.

Als Kinder aus Familien mit Migrations- beziehungsweise Fluchtgeschichte aus der Türkei und dem Iran wurden Sie Akademikerinnen. Ist das ein Beleg für Bildungsgerechtigkeit in Deutschland?

Demirhan: Wir sind noch nicht mal nahe dran, Bildungsgerechtigkeit zu erreichen. Menschen wie wir beide sind Ausnahmen. Die meisten Stu­den­t*in­nen kommen natürlich aus Akademiker*innenhaushalten. Es ist unser Ziel, das grundlegend zu ändern.

Blumenthal: Die Ansprüche der Eltern an den Bildungserfolg ihrer Kinder ist ein sehr wichtiger Faktor, und es ist kein Zufall, wer an der Uni landet. Deshalb müssen wir dort, wo der Haushalt nicht leisten kann, was notwendig ist, gezielter fördern.

Der öffentliche Fokus liegt stark auf der Fraktion. Wie wollen Sie die Partei gegenüber der Fraktion stärken?

Demirhan: Wir müssen definieren, was wir als Partei politisch wollen, mitunter auch in Abgrenzung zu unserer Fraktion und zum Senat. Es ist nicht Aufgabe des Landesvorstands, das politische Tagesgeschäft zu kommentieren, sondern die Identität der Partei zu formen.

Blumenthal: Wir haben unter Corona gespürt, wie sehr wir eine starke Partei brauchen, die Positionen erarbeitet, die über tagesaktuelle Fragen hinausweisen. Wir müssen die langen Linien entwickeln, mit denen wir unser Profil schärfen und Wahlen gewinnen.

Sind die Grünen als Regierungspartei zu zahm geworden?

Blumenthal: Zu zahm nicht, aber wir waren zuletzt nicht so sichtbar, weil die für die Pandemiebekämpfung wichtigen Senatsämter in SPD-Hand liegen. Die Menschen sind wegen Corona sehr verunsichert und brauchen keine Koalition, die sich ständig zankt, sondern eine, die gemeinsam funktioniert

Demirhan: Das wird stets diskutiert, wenn Grüne regieren. Im Spannungsfeld zwischen radikal und staatstragend ist mir wichtig, dass möglichst viele grüne Inhalte real umgesetzt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 3.700 motivierte Mitglieder haben die Grünen, das ist ziemlich wenig für eine Partei, die nach der Macht greift. Und bei aller Sympathie empfinde ich die beiden als nicht ausreichend erfahren und qualifiziert. Nach grüner Machtarithmetik rutschen die ja bald auf einen Senatorensessel und das scheint mir dann schon unpassend. Und wirklich konkret werden, können die beiden nicht. Das wollen sie vielleicht auch nicht, schließlich sitzen da ja schon Grüne in der Regierung. Aber kaum eine Stadt im Bundesgebiet kennt so ein Arm-Reich-Gefälle und so wenig echte politische Gegenmacht. Die Grünen machen auch eher den Weg der FDP, bedienen wohlhabende, gebildete und liberal-ökologische Kreise. Vielleicht ist das auch gut so, weil die Linke sich daran dann abarbeiten kann und wenigstens eine Partei an diesem Punkt klare Sicht hat. Aber es ist schade, dass aus der GAL so eine Aufsteigerpartei mit heißer Luft und wenig echten Ansätzen geworden ist. Klar, die 1980er waren vielleicht noch mehr heiße Luft, aber wenigstens bewegte die Partei die SPD - ein Stück weit, nicht wirklich. Ich befürchte, dass diese Grünen irgendwann mit allen koalieren und auch alles mitmachen werden (müssen). Und der Migrationshintergrund passt gut in die Szene, aber er bedeutet sehr wenig. Man kann es auch so lesen: Wirklich erfolgreiche und gebildete Biodeutsche fangen an, Politikerlaufbahnen zu meiden. Es ist kulturell ganz gut für die Stadt, praktisch wird da nicht so viel bei heraus kommen.