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Tanja Handels über den Literaturbetrieb„Der Text muss gut fließen“

Darüber, wer was übersetzen darf, gab es zuletzt viel Wirbel. Ausschlaggebend sollten Kompetenz und Können sein, sagt Übersetzerin Tanja Handels.

Tanja Handels übersetzte unter anderem „Mädchen, Frau etc.“ von Bernadine Evaristo Foto: Alessandra Schellnegger
Shirin Sojitrawalla
Interview von Shirin Sojitrawalla

taz: Frau Handels, Über­set­ze­r:in­nen bleiben oft unerwähnt, führen quasi ein Schattendasein. Die Schriftstellerin und Übersetzerin Isabel Bogdan fordert, wann immer Au­to­r:in­nen genannt werden, auch die Über­set­ze­r:in­nen zu nennen. Wäre das in Ihrem Sinne?

Tanja Handels: Das fände ich schon toll, weil ich mir größere Sichtbarkeit für den Berufsstand wünsche. Auch in den Rezensionen, und zwar nicht nur dann, wenn sie an der Übersetzung etwas auszusetzen haben, sondern auch, wenn der Stil des Buchs hochgelobt wird.

Kann man die Übersetzung nur anhand der Übersetzung, also ohne Kenntnisse der Sprache des Originals, beurteilen?

Auf jeden Fall! Das muss man auch, wer kann schon alle Sprachen. Beim Englischen können es viele beurteilen oder glauben, es beurteilen zu können. Bei den romanischen Sprachen wird es schon schwieriger, und ganz schwierig ist es bei seltenen Sprachen. Da kann man die Übersetzung oft nicht mehr mit dem Original abgleichen. Man kann aber, unabhängig von der Ausgangssprache, beurteilen, wie der Text auf Deutsch funktioniert.

Anhand welcher Kriterien?

Der deutsche Text muss gut fließen, und wenn man das Gefühl hat, man liest ein stilistisch großartiges und begeisterndes Buch auf Deutsch, dann ist die Übersetzung gut.

Ist es dann nicht besonders ärgerlich für Sie, dass im Falle Ihrer Übersetzung von „Mädchen, Frau etc.“ von Bernadine Evaristo in Rezensionen das hohe sprachliche Vermögen der Autorin oft hervorgehoben, Sie selbst aber genauso oft mit keinem Wort erwähnt werden?

Ja und nein. Bei mir ist es inzwischen so, dass ich es immer auch als Lob an mich betrachte, wenn der Stil und das Buch gelobt werden – auch wenn das nicht explizit so gesagt wurde.

Wie gehen Sie selbst beim Übersetzen vor, lesen Sie erst das Buch einmal durch?

Ich versuche, es immer erst einmal als Leserin durchzulesen, weil dieser Leseeindruck dann später in meine Arbeit einfließt. Ich bin quasi die Modellleserin und lasse das Buch nur auf mich wirken. Davor lese ich natürlich rein, um zu entscheiden, ob ich es machen möchte.

Das ist das normale Prozedere?

Mittlerweile schon. In den Anfangszeiten habe ich noch alles übersetzt, was nicht bei drei auf dem Baum war. Inzwischen zeigt mir die Erfahrung, dass nicht jedes Buch für jede Stimme geeignet ist. Für mich ist wichtig, dass ich irgendwo andocken kann, und zwar mehr auf der sprachlichen als auf der inhaltlichen Ebene. Ich höre dann beim Lesen schon, wie das auf Deutsch klingt. Und wenn ich das nicht höre, dann lehne ich den Auftrag ab.

Das machen alle so?

Das ist ganz individuell. Ich weiß, dass es auch sehr renommierte Kol­le­g:in­nen gibt, die ihre Bücher vorher nicht ganz lesen. Um dann beim Übersetzen interessierter und gespannter zu bleiben.

Wie Sie eingangs schon sagten, werden Über­set­ze­r:in­nen oft nur erwähnt, wenn es etwas auszusetzen gibt. Ihre Evaristo-Übersetzung wurde mancherorts heftig kritisiert. Ich selbst bin beim Lesen über das Adjektiv „farbig“ gestolpert. Haben Sie dieses Wort gewählt, weil die Episode in einer anderen Zeit spielt und damals eben auch andere Begriffe benutzt wurden?

Ich habe „farbig“ nur in einzelnen Kapiteln verwendet. Das waren Kapitel, die in früheren Jahrzehnten spielen. Das Buch erstreckt sich ja vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 2016. Auch Evaristo verwendet ganz unterschiedliche Ausdrücke. „Coloured“ kommt bei ihr nur in diesen früheren Kapiteln vor, da man es heute auf Englisch eher nicht mehr benutzt. Das ist das Pro­blem mit diesen Triggerwörtern. Wenn ich das Buch noch mal übersetzen würde, würde ich eine Nachbemerkung zur Übersetzung schreiben, um meine Vorgehensweise zu erläutern.

Im Interview: Tanja Handels

ist literarische Übersetzerin aus dem Englischen. 2019 erhielt sie den Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Preis, mit dem herausragende literarische Übersetzungen ausgezeichnet werden.

Ein andere Bezeichnung, die Sie verwenden und die kritisiert wurde, lautet „milchkaffeefarbene Sprösslinge“?

Das erklärt sich nicht aus der Zeit, sondern aus der Figur heraus, die hier spricht. Sie ist ein junger Mann, der Inbegriff jedes nur denkbaren weißen Privilegs.

Im Original spricht er von seinen potenziellen Nachkommen mit seiner schwarzen Ehefrau als „tawny offspring“.

Und das wird als viel neu­traler wahrgenommen. Dem ist aber nicht so. Es ist zwar kein explizit rassistisch konnotierter Begriff, aber ein deutlich abwertender, weil er häufig für Gegenstände und Tiere verwendet wird. Auf Englisch klingt es, als spräche er über einen Wurf Hundewelpen. Es ist also durchaus beabsichtigt, dass man beim Lesen kurz zuckt, das ist im Original so angelegt. Ich kann absolut nachvollziehen, dass bestimmte Begriffe verletzend sein können. Ich finde aber auch, Literatur muss das dürfen, wenn es einen bestimmten Zweck erfüllt und in einem konkreten Kontext steht. Evaristo selbst verwendet noch ganz andere Wörter, deren deutsche Entsprechung ich nie benutzen würde.

Wer was übersetzen sollte, ist gerade ein großes Thema, Stichwort Amanda Gorman. Wie erleben Sie die Debatte?

Ich finde die Diskussion überspitzt, nach dem Motto: „Ich kann Homer nicht übersetzen, ich bin kein Grieche aus dem 7. Jahrhundert.“ Für mich laufen da zwei Dinge durch­einander: Das eine ist das politische Anliegen, das ich unterstütze. Die gesamte westliche Literaturbranche ist weiß dominiert, das könnte und sollte anders werden, und eine Autorin wie Amanda Gorman wäre tatsächlich eine Chance, junge, schwarze Stimmen ranzulassen. Dennoch dürfte es nicht immer einfach sein, eine Über­set­ze­r:in zu finden, der oder die eins zu eins zum Au­to­r:in­nen­pro­fil passt. Wichtig bleibt vor allem, dass Übersetzungen von Über­set­ze­r:in­nen gemacht werden.

Das spricht gegen die Lösung für die deutsche Übersetzung von Amanda Gorman, die von drei Frauen, darunter nur eine Übersetzerin, geleistet wurde?

Übersetzen ist ein Handwerk, ein Beruf, den man erlernt, und nichts, was man so nebenbei macht. Das Ausschlaggebende sollte immer die Kompetenz und das übersetzerische Können sein. Ich habe einige Bücher von Männern übersetzt, die mit zu meinen Lieblingsprojekten gehören. Es ist schwer vorstellbar, dass nur Schwarze Schwarze übersetzen, Weiße Weiße, Frauen Frauen und Männer Männer.

Deswegen fordert das auch eher niemand. Sie sind auch die deutsche Stimme von Zadie Smith.

Gerade im Fall von Zadie Smith glaube ich, dass ich eine gute Besetzung bin. Tatsächlich habe ich jenseits der Hautfarbe recht viel mit der Autorin gemeinsam.

Also ist das doch wichtig?

Ich habe eben auch innerlich gegrinst, als ich das gesagt habe. Aber es gibt nun einmal einige Gemeinsamkeiten, wie unser ähnliches Alter oder die Tatsache, dass wir beide sehr alte Väter hatten. Wir haben auch einen ähnlichen Blick auf die Welt. Aber das spielte bei der Auftragvergabe an mich keine Rolle.

Sie haben Zadie Smith nicht von Anfang an übersetzt, es wurde damals jemand Neues gesucht.

Für mich war es die Erfüllung eines Traums, weil ich Zadie Smith schon immer wahnsinnig gern gelesen habe. Ein Glücksfall.

Bernadine Evaristo hat Sie kürzlich auf Facebook sehr für Ihre Übersetzung von „Mädchen, Frau etc.“ gelobt.

Das hat mich sehr gefreut. Ihr Roman hält sich schon relativ lange in den deutschen Top Ten, was sie eben auch meiner Übersetzung zuschreibt.

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