Amanda Gorman ins Deutsche übersetzt: Mission erfüllt
Amanda Gormans Inaugurationsgedicht erscheint nun auf Deutsch. „Den Hügel hinauf“ überzeugt in den meisten Punkten.
Schon in der deutschen Fassung des Titels lässt sich die Arbeitsweise der drei Übersetzerinnen erkennen. Aus „The Hill We Climb“ wird schlicht und schön: „Den Hügel hinauf“. Uda Strätling, Hadija Haruna-Oelker und Kübra Gümüşay haben sich, um eine Relativkonstruktion zu vermeiden, für eine reduzierte Variante entschieden, in der sowohl das Verb als auch das lyrische Wir ausgespart ist, ohne dabei den Inhalt zu verfälschen.
Wenn man bedenkt, wie emotional die Debatte um die Frage geführt wurde, wer das Inaugurationsgedicht von Amanda Gorman übersetzen soll, gibt dieses Trio eine angemessen kühle Antwort, die weitgehend der Strategie folgt, nah an der ebenfalls abgedruckten amerikanischen Vorlage zu bleiben, ohne die sprachlichen Eigenheiten des Deutschen zu verkennen.
Eingeleitet wird das Buch mit einer Vorrede von Oprah Winfrey, die Gedicht und Dichterin auf ein seltsam erhöhtes Podest stellt, indem sie von „Kadenzen einer Klugheit“, einem „Inbild sanfter Anmut“, „Balsam für unsere Seelen“, einem „Wunder“ und der „Macht der Poesie“ spricht. Von Lyrik scheint die US-Talkmasterin nur wenig zu verstehen. Dass Amanda Gorman laut ihrer Bewunderin „in ihrer strahlenden Präsenz ans Mikrofon trat“, ist allerdings nicht zu bestreiten.
Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, in dem Band einen Videolink zur Veranstaltung aufzunehmen, denn nur über den Gedichttext lässt sich schon bald nicht mehr nachvollziehen, warum der Auftritt der 22-jährigen Lyrikerin die Amtseinführung von Joe Biden überstrahlte. Mit etwas Abstand und bei genauer Lektüre fällt die simple Machart der Funktionspoesie eben auf, die allzu offensichtliche „Recherche“ der Autorin. Das wird nicht zuletzt durch den umfangreichen Anhang deutlich, in dem Bilder und Bezüge aufgeschlüsselt werden.
Erklärung und Entzauberung
Diese erste Übersetzung in Buchform ist gewiss für ein breites Publikum gedacht, und so erfahren wir in einem Anmerkungsapparat, dass mit dem Hill nicht nur das „Capitol als Sitz der Legislative und somit Zentrum der amerikanischen Demokratie“ gemeint ist, das wenige Tage zuvor von fanatischen Trump-Fans gestürmt wurde, sondern dass sich der Hügel auch auf die Bergmetaphorik in der Bibel bezieht, aber genauso auf Zeilen der afroamerikanischen Schriftstellerin Maya Angelou, die mit „On the Pulse of Morning“ den Gedichtpart zur ersten Amtseinführung Bill Clintons übernahm.
Der Anhang erklärt und entzaubert das Gedicht gleichermaßen: „The Hill We Climb“ offenbart sich demnach auch in deutscher Sprache als eine naheliegende Mischung aus Anspielungen auf vergangene Anlasspoesie etwa von Robert Frost und Richard Blanco, aus Zitaten von Barack Obama und Martin Luther King, Sprechweisen aus dem gesellschaftlichen Diskurs der USA und Verweisen auf Musicals sowie die Verfassung der USA.
Ein eigenständiger oder eigenwilliger Stil ist in Gormans Gospelpredigt kaum zu erkennen. Auffällig ist ihre Vorliebe für Alliterationen, die von Strätling, Haruna-Oelker und Gümüşay auf mal kreative, mal altmodisch klingende Weise bestätigt werden. Aus „norms and notions“ werden „Anschauung und Auslegung“ – schön, auch weil das Metrum hier eigene Wege geht. Bei Gorman heißt es: „We seek harm to none, and harmony for all“. Die Übersetzung wirkt hier holprig: „Wir wollen ohne Hader in Harmonie leben.“
An einer zentralen Stelle findet Gorman das starke Bild des „skinny Black girls“, „Nachfahrin von Sklavinnen, Kind einer / alleinerziehenden Mutter“, das „davon träumen kann, Präsidentin zu werden, und / nun hier, heute, für einen Präsidenten vorträgt“. Das an dieser Stelle im Deutschen ein generisches Femininum steht, ist sprachlich wie politisch eine kluge Wahl, weil diese Variante den Geist des Ausgangstexts trifft.
Eine andere, ebenso wichtige Passage ist leider weniger überzeugend ins Deutsche übertragen worden. Gorman erinnert an das Versprechen der Verfassung: „To compose a country committed / To all cultures, colors, characters / And conditions of man“. Strätling, Haruna-Oelker und Gümüşay haben sich entschieden, die Hautfarbe nicht zu erwähnen, sondern den Text mit Schlagworten zu verkürzen, die einen eher diffusen Bedeutungshorizont aufweisen: „Ein Land für Menschen aller Art, / jeder Kultur und Lage, jeden Schlags“. Die Übersetzerinnen erklären zwar ausführlich, warum sie das Wort „color“ im Gedicht nicht erwähnen wollen, doch das Tilgen des Problembegriffs wirkt trotzdem nicht souverän. Es scheint, als komme eine „rassismuskritische Sicht“ hier an ihre lyrischen Grenzen.
Leser*innenkommentare
schatty_2021
Die Übersetzung ist leider komplett missglückt.
17900 (Profil gelöscht)
Gast
Eine beeindruckende junge Frau!
cool25
Nette und ehrliche Kurzkritik. Dankeschön!