: Im Psycho-Wald
Flirrende Farben, harte Kontraste: Das Kölner Museum für Angewandte Kunst zeigt in einer umfangreichen Schau die Graphiken der Pop-Musik
VON BORIS R. ROSENKRANZ
Amerika blühte in schillernden Farben, als 1967 das erste Album der Band The Doors erschien. Mit Blumen behangene Hippies verschlangen Hesses Steppenwolf, beamten sich auf Geheiß von Drogenprofessor Timothy Leary ins LSD-Abseits und hörten, na klar, „Break On Through (To The Other Side)“, den Opener des schlicht mit dem Bandnamen betitelten Erstlings der Doors. Inspiriert von Aldous Huxleys Drogenromanen hatte Doors-Sänger Jim Morrison ein Lied zu Papier phantasiert, das zur Hymne der Hippies avancierte. Break On Through – aufbrechen in die Untiefen des Bewusstseins.
Was in Morrisons Kopf abging, während er imaginäre Türen eintrat, fand schließlich Ausdruck in den Plakaten Victor Moscosos, die neben vielen anderen seit gestern im Kölner Museum für Angewandte Kunst zu sehen sind. Kurator Uwe Husslein hat für die Ausstellung „Got The Look – Graphik der Popmusik“ eine erschlagende Fülle von Kunstwerken zusammengetragen (rund 1.000 Plakate, Plattencover, Postkarten und Flyer), um mit ihrer Hilfe einerseits die Geschichte der Popmusik zu erzählen, andererseits die Geschichte eines Nischen-Genres: der Plakatmalerei. Wie sehr die musikalischen Brüche und Abgrenzungen verschiedener Musikrichtungen auch in die jeweiligen Poster und Handzettel (wie Flyer früher noch genannt wurden) einfließen, zeigt sich am besten am Verhältnis der schrillen Psychedelic-Ära zum nachfolgenden Zeitalter des Punk.
Flirrende Wälder
Moscoso und seine Kollegen versuchten in ihren Graphiken eben jene Bewusstseinsebenen darzustellen, die Morrison in „Break On Through“ beschwor. Psychedelic-Poster sind gewaltige Farben- und Formen-Gewitter, der Blick fällt in flirrende Wälder, die von abstrusen Gestalten besiedelt werden. Wer die ineinander wachsenden Schriften zu lange mit den Augen fixiert, läuft Gefahr, nachher ähnlich zugedrogt durch die Gegend zu wandeln wie Morrison, Huxley und Co. Heute wären Konzertplakate dieser Art nicht mehr denkbar. Das abgebildete Wirrwarr negiert förmlich den eigentlichen Zweck dieser Plakate: nämlich für das nächste Konzert, die nächste Platte zu werben, und zwar so, dass die Informationen auch im Vorbeigehen schnell und deutlich lesbar sind. Doch Haschisch sei Dank ging es Ende der Sechzigerjahre alles etwas langsamer zu. Die Welt verschwamm, man lag im eigenen Saft auf Sofas rum und versank in sich selbst. Bis im Jahre 1977 in Großbritannien der Punk ausbrach. Die Musik war schnell, laut, provokativ, sie kritisierte die gesellschaftlichen Missstände und die fortschreitende Kommerzialisierung der Pop-Musik. Mit einem Mal verschwanden die dekorativen Farbenspiele von den Plakaten und wichen einem abschreckend-harten Schwarz-Weiß-Kontrast. Die Kölner Ausstellung misst dieser Phase allerdings nur wenig Raum zu, vielleicht auch deshalb, weil sich damals nur einzelne Plakatkünstler einen Namen machen konnten. Jeder war in der Lage, mit Schere, Klebstoff und Kopierer Flyer, Plakate oder ein eigenes Fanzine zu produzieren. Einer, der es dann doch geschafft hat, in Erinnerung zu bleiben, und der auch in Köln zu musealen Weihen kommt, ist Raymond Pettibon. Pettibon zeichnete Plakate für die legendäre Punk-Band seines Bruders Greg Ginn, der bei Black Flag die Gitarre misshandelte.
Schreiender Cobain
Kurator Uwe Husslein behauptet, der erste zu sein, der Pop-Plakate in dieser Fülle zeigt. Neben Psychedelic und Punk hängen, nach Genres und Künstlern geordnet, auch Reliquien aus Techno, HipHop, Soul, Blues und Pop-Art aus. Darunter so namhafte Künstler wie Andy Warhol, Günther Kieser oder Derek Hess. Was hätte da näher gelegen, als alles zwischen zwei Buchdeckel zu packen und einen ebenso opulenten Katalog herauszugeben! Doch Husslein erklärt zögernd, dass er habe sparen müssen, weil letztlich für die von der Kulturstiftung geförderte Schau zu wenig Geld zur Verfügung stand. Stattdessen verweist er auf zwei „Standardwerke“, die man im Museumsshop kaufen könne.
Dass es an Geld mangelte, mag auch daran liegen, dass Husslein seinen ganzen Ehrgeiz in die Auswahl der Musikbeispiele gelegt hat. Am Eingang erhält der Besucher ein kleines Gerät mit Kopfhörern, auf dem er die unter den Exponaten angegebenen Nummern eintippen kann. Man habe sich bemüht, immer einen Mitschnitt des auf dem Poster beworbenen Konzerts zu bekommen, sagt Husslein. Und wenn das nicht klappte, so doch wenigstens eine Aufnahme aus dem selben Jahr.
Also läuft der Besucher durch die weiten Räume, abwechselnd schreien Kurt Cobain und Mick Jagger ins Ohr, was die Bedeutung der Plakate erst deutlich macht. Ganz so wie es Günther Kieser, der vielleicht bedeutendste deutsche Plakatkünstler, sich zur Maxime gemacht hatte. Kieser wollte, dass das Pop- oder Rock-Konzert nicht beginnt, wenn die ersten Akkorde durch die Halle preschen, sondern schon Wochen, vielleicht Monate vorher – an der Litfaßsäule.
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