der rote faden: Plopp – und der Kanal ist frei
Wie schön wäre es, wenn's mit dem Impfen so gut voranginge wie mit dem Entkorken des Suezkanals. Da heißt es immer noch: abwarten.
D iese Woche hätte es eigentlich flutschen müssen. Fing doch alles mit einem geploppten Sektkorken an. Die „Ever Given“, das 400 Meter lange Frachtschiff, das rund eine Woche lang den Weg für mindestens 369 wartende Schiffe im Suezkanal versperrt und damit für Verzögerungen im Welthandel gesorgt hatte, war endlich freigebaggert. Hätte es da nicht auch an anderen Stellen mal ein bisschen vorangehen können? Beim Impfen etwa.
Damit meine ich nicht, dass man weiter fröhlich alle mit AstraZeneca impfen soll, sondern dass es schön wäre, wenn von den anderen Stoffen jetzt schnell ein paar Dosen mehr verfügbar wären. Oder wenn die Zahl der Neuinfektionen mal sinken würde. Dass Letzteres nicht passiert, wundert mich gar nicht. Selbst in dem braven kleinen bayerischen Ort, wo meine Eltern leben, wird man, wie meine Mutter mir erzählt hat, angeraunzt, wenn man es wagt, schon draußen vor dem Metzger seine Maske zu tragen.
Na ja, in Renitenz waren die Bayern ja meiner Erfahrung nach den Berlinern nie hinterher, eher voraus. Wobei es wahrscheinlich auch hier auf die ideologisch richtige Form der Renitenz ankommt, nur dagegen sein reicht natürlich nicht. Renitenz bescheinigt Peter Kümmel in der Zeit übrigens auch dem Kapitän der „Ever Given“. Der soll, wie Satellitenbilder jetzt gezeigt haben, beim Warten auf die Einfahrt in den Suezkanal mit seinem Schiff einen Penis samt Hoden ins Meer gezeichnet haben.
Erst protzen, dann peinlich auflaufen – Peter Kümmel deutet den ganzen Suezschmus somit schön als Krise des Patriarchats. Das Peniskritzeln als letztes Aufbäumen gegen die voranschäumende Emanzipation. Das kann man selbstverständlich weiterspinnen. Ganze Präsidentschaften lese ich als Versuch, ideologische Penisse in den Zement der Macht zu ritzen. Nur leider baggert niemand sie ab, so peinlich ihr Klammern mit den Jahren auch wird.
Peniskritzeln gegen Emanzipation
Obwohl Selbstüberschätzung und Allmachtsfantasien wohl keine exklusiv männlichen Fallstricke der Psyche sind; Frauen hatten historisch gesehen bisher viel weniger Chancen, solche zu entwickeln. Da hilft auch korrektes Gendern noch nicht, aber es wird. Wir Frauen werden aufholen, da bin ich sicher. Von Ärtzinnen und Ärzten mit Allmachtsfantasien las ich diese Woche übrigens ebenfalls in der Zeit.
Sie müssen verzeihen, jetzt, in dieser kurzen Phase der Elternzeit, in der man noch nicht Eltern ist, habe ich endlich mal Zeit zu lesen. Und mich aufzuregen. Wie über den Text mit dem Titel „Wie viel soll man machen?“, der mich kurz an die Debatte „Oder soll man es lassen?“ erinnerte. Auch hier geht’s um humanes Handeln – und um einen Aufruf von Intensivmedizinern, die sagen, sie machen zu viel. „Das ist schädlich, teuer, unmenschlich“, heißt es da.
Für unmenschliches Leid habe ich weder im Artikel noch im dazugehörigen Interview konkrete Beispiele gefunden. Vielleicht diesen einen Satz, der sich auf invasive Maßnahmen wie Beatmung bezieht: „Die Betroffenen erleben Isolation, Todesangst, Luftnot“, sagt Uwe Janssens da, er ist Sprecher der Ethiksektion der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).
Was sagt, was lebenswert ist?
Klar hat er Ahnung und ich nicht, das will ich gar nicht infrage stellen. Ich sitze bequem im Büro, er hat geschätzt Tausende Intensivpatienten gesehen. Trotzdem frage ich mich: Soll man nix mehr für den Patienten machen, nur weil er Todesangst hat? Wer hat die nicht, wenn er beatmet werden muss – und heißt Todesangst denn zugleich, dass man nicht mehr leben will? Was bin ich bereit auszuhalten, wenn es ums nackte Überleben geht?
Wenn ich zurückblicke auf die knapp 40 Jahre, die ich alt bin, habe ich meine Meinung zu sehr viel geringeren Fragen als dieser schon oft revidiert. Eigentlich immer zugunsten des Aushaltens. Ich würde mir ehrlich gesagt selbst nicht trauen – am Ende wäre ich sicher bereit, den Preis für mein Leben ganz schön zu dumpen. Auch Janssens sagt im Interview, dass keine Patientenverfügung Gespräche mit Angehörigen oder, im besten Fall, dem Patienten selbst ersetze.
Andere mögen da konsequenter sein, aber ich kann mir vorstellen, dass ich heute etwas als nicht lebenswert für mich empfinde, was mir irgendwann als rettend erscheint. Wer weiß? Jedenfalls war mir dieser – sicher aus besten Absichten und Fachkenntnis entstandene – Aufruf der Mediziner unheimlich, nachdem ich im vergangenen Jahr erlebt habe, was viele über alte Menschen denken. Noch immer scheinen es für viele „nur“ diese zu sein, die an Covid-19 sterben.
Als wäre es ab einem gewissen Punkt wurscht, ob man ein bisschen früher oder später stirbt. Als würde man mit Haaren, Zähnen und Jahren auch seine Würde verlieren. Zum Glück hat sich diese Haltung nicht in der Coronapolitik gespiegelt. Sonst würden wir als Gesellschaft wirklich tief im zivilisatorischen Sand versacken.
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