: „Wir filmen, bis die Linse beschlägt“
LOW BUDGET Der Film „Dicke Hose“ wird auf dem Filmfest Hamburg uraufgeführt. Die Regisseure Henna Peschel und Miles Terheggen sprechen über U-Boot-Filme, Slang-Daddys und die Tiefpunkte im Leben
■ Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten von „Dicke Hose“. Terheggen ist sonst Musiker (Love Ravers), Peschel machte die Filme „Rollo Aller“ und „Madboy“. Foto: kli
taz: Wie gewinnt man berufstätige Künstler dafür, ohne Gage bei einem Low-Budget-Film mitzumachen?
Henna Peschel: Die Leute sind übermotiviert. Die wollen seit Jahren nichts anderes, als in einem Kinofilm mitzuspielen. Das ist auch die Voraussetzung, weil teilweise haben wir Action-Szenen drin, bei denen es auch weh tun kann. Es gibt Schläge, einer wird verbrannt, einer fällt ins Wasser, aber das ist kein Problem.
Was hat den Leuten gefallen an dem Projekt?
Peschel: Dass sie die Geschichte kennen. Wir erzählen eine Geschichte, die heute an jeder Straßenecke passiert, nämlich: Dass einer mit leeren Händen dasteht und etwas erreichen will. Wir haben daraus eine Komödie gemacht.
Wie geht die Geschichte?
Miles Terheggen: Der arbeitslose Sleepy gründet einen Lieferservice. Wenn er chinesisches Essen bringt, verkleidet er sich als Chinese, wenn er italienisches Essen bringt, verkleidet er sich als Italiener. Darüber lernt er Musiker kennen und steigt auf zum Manager. Sleepy muss alle möglichen Sachen mitmachen, muss auf ein Casting gehen und lernt Leute aus allen Schichten kennen, vom Zahnarzt bis zum Panzerknacker.
Peschel: Wir feiern die Kreativität in dem Film. Sleepy rappt auch tagsüber, wenn er in einen Laden geht. Die Abenteuer meistert er durch seinen Schnack.
Wie lässt sich der Schnack beschreiben?
Peschel: Der Schnack hat verschiedene Einflüsse. Erstmal den Hafenarbeiter, der sehr derbe redet. Der Schnack ist aber auch sehr geschmeidig und schnell, da werden Wortspiele gemacht, wie bei einem Poeten.
Terheggen: Sleepy ist Schnack-Papi. Slang-Daddy. Aber auch die anderen Schauspieler reden sich um Kopf und Kragen.
Wer ist alles dabei?
Terheggen: Sleepy wird gespielt von Sleepwalker, das ist ein alter Freund von mir. Er ist Musikproduzent und hat eine Goldene Platte mit Samy Deluxe gemacht. Die Rapper Ferris MC und Haak MC sind dabei, Adam Bousdoukos, sein Bouzouki-Lehrer, Tony Greer, Stephan „SMG“ Gerber.
Peschel: Die Laiendarsteller können etwas besser als die größten Profis: Die wissen, wie man sich in Altonas Kellern, Hinterzimmern, Musikclubs bewegt und wie man da spricht.
Ist „Dicke Hose“ ein Altona-Film?
Peschel: Ja. Der Untertitel lautet: „Big Trouble in Little Ottensen“.
Terheggen: Er spielt in Ottensen, diesem kleinen Teil Altonas. Altona ist ja im Umbruch. Wir haben im letzten Sommer gedreht und manches gibt es mittlerweile nicht mehr. Den Plattenladen Zardoz zum Beispiel.
Peschel: Das Viertel verändert sich und wir halten das fest. Aber das ist nicht unser Ziel. Wir wollen nicht sozialkritisch sein. Wir haben es als Wahrheit erkannt, dass es einen Ausweg gibt, wenn man denkt, man hat nichts mehr. Das wollen wir zeigen.
Ist Ottensen das Künstlerquartier Hamburgs?
Peschel: Ja, Ottensen ist wie so ein Topf. Wenn sich da der Inhalt erhitzt, dann geht der Deckel hoch und es kommt an allen Seiten dieser heiße Dampf raus. Wir filmen in den Kochtopf rein. So lange, bis die Linse beschlägt.
Gentrifizierung ist ein großes Thema in Hamburg. Wie verhält sich Ihr Film dazu?
Das Filmfest Hamburg entstand 1992 aus dem Zusammenschluss der Hamburger Kinotage mit dem Europäischen Low Budget Film Forum.
■ Über 140 Filme werden vom 24. September bis zum 3. Oktober zu sehen sein.
■ Ein Schwerpunkt des Festivals ist die Reihe „Pulsierende Metropolen“. Gezeigt werden 13 Spiel- und Dokumentarfilme, die sich großen Städten und ihren Gegensätzen widmen.
■ Gleichzeitig läuft das Michel Kinder- und Jugendfilmfest. Es eröffnet mit dem Zeichentrickfilm „Mia und der Migou“.
Peschel: Wir drehen mit sehr geringen Mitteln. Wenn ich eine Straße ausleuchten will, dann klaue ich der Polizei ein Absperrband. Damit sperre ich mir morgens einen Parkplatz ab und stelle abends dort mein Auto hin, um mit Fernlicht die ganze Straße auszuleuchten.
Was soll aus dem Film nach seiner Uraufführung auf dem Filmfest Hamburg werden?
Peschel: Ich wünsche mir, dass wir im Ost-Allgäu wieder so erfolgreich sind. Weil je tiefer du nach Süden kommst, desto geiler kommt die Geschichte an.
Tatsächlich?
Peschel: Hamburg ist cool, und Berlin ist uncool. Das sagt komischer Weise jeder. Weil Berlin kann niemand mehr greifen und bei Hamburg sieht jeder sofort die Hafenkräne vor sich und denkt an die Beatles.
Terheggen: Hamburg ist so filmenswert, da kann ich auch einen U-Boot-Film im Hamburger Hafen machen.
INTERVIEW: KLAUS IRLER
26. 9., Cinemaxx Dammtor, 22 Uhr 3. 10., Zeise-Kino, 20 Uhr
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