: „Gegenwartsmeister:innen“
Gewinnen in der Krise: Die Dramatikerinnen Maria Milisavljević und Maxi Obexer haben neue Netzwerke gegründet
Interview Simone Kaempf
Die Theater sind aufgrund der Pandemie weiterhin geschlossen. Hinter den Kulissen ist jedoch Bewegung. Dramatiker*innen haben sich im Verband der Theaterautor:innen (VTheA) und dem theaterautor:innen-netzwerk organisiert. Der Diskurs über zeitgenössischer Dramatik hat durch den digitalen Schub neue Impulse erhalten.
taz: 2020 wurden zwei Theaterverbände gegründet, die sich für bessere Arbeits-Bedingungen und mehr Austausch einsetzen. Maria Milisavljević und Maxi Obexer, Sie sind beide jeweils Gründungsmitglieder. Was war Ihr Anliegen?
Maria Milisavljević: Unser Hauptthema ist es, sich zu vernetzen und zu schauen, wie Autor:innen im Theater wahrgenommen werden. Durch Corona war Zeit und Raum dafür da.
Maxi Obexer: Unruhe herrscht schon länger, auch die Enttäuschung von vielen Theaterautor:innen. Dramatik boomt. Aber an einer Vervielfältigung öffentlicher Räume dafür mangelt es.
Zum Auftakt hatte der Verband der Theaterautor:innen Häuser dazu aufgerufen, Stückaufträge zu vergeben. Hat das etwas gebracht?
Obexer: Es ging dabei nicht nur um die existenzielle Situation der Autor:innen, sondern auch darum, dass Bewusstsein verändert wird. Tatsächlich ist es so, dass Autor:innen zuletzt nicht sehr präsent waren. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Bedeutung der Kunst wieder in den Vordergrund rücken können und nicht nur darum betteln müssen, wir können wieder Ebenbürtigkeit erlangen. Wir sind Meister:innen der Gegenwart, die Zeit muss von uns behandelt werden und nicht von einem Boccaccio, mit dem die Theater vor einem Jahr die Pandemie erklären wollten.
Milisavljević: Das Theater Regensburg hat bei mir angefragt, ob ich Hausautorin werde, und das ging anderen Kolleg:innen ähnlich. Ich habe nachgefragt im netzwerk, und das Ergebnis ist: Momentan – speziell durch die Pandemie – haben die Institutionen Geld. Es gibt Interesse, wir haben Aufträge und es gibt durchaus eine positive Stimmung. Man sucht das Gespräch. Und das ist sehr schön.
Theater bleiben weiter geschlossen. Gespielt wird im Moment hauptsächlich digital. Woran konnte produktiv gearbeitet werden?
Milisavljević: Theaterarbeiten wurden ja schnell in den digitalen Raum verlegt. Produktionen, die ausgefallen sind, wurden zu einem Film. An anderer Stelle gibt’s eine Aufführung, die abgesagt wurde, aber jetzt als Lesung im Bühnenbild stattfindet. Ich erlebe ein Weiterarbeiten, auch eine große Kreativität der Theater und Literaturhäuser im Umgang mit neuen Formaten.
Obexer: Die Suche nach Formen für digitale Übertragungen lief sehr gut. Wir haben am Berliner Maxim Gorki Theater zum Beispiel ein Dramatiker:innen-Labor zum Abschluss gebracht und Produktionen wurden digital erstellt. Meine Beobachtung ist, dass sich Theaterstücke als Kunstform im Digitalen sehr gut halten können. Ohne dass man ständig in interaktiven Formaten herumstöbert, entfaltet sich Sprache, ihr Ausdruck und ihre Kraft auch im digitalen Raum.
Theaterwissenschaft hat sich zuletzt mehr der Aufführungspraxis und der Performance zugewendet. Über zeitgenössische Dramatik gibt es kaum neue wissenschaftliche Literatur. Ist das ein Manko?
Obexer: Ja, und das macht sich auf vielen Seiten sehr bemerkbar. Flächentext ist der einzige Begriff, der aus der jüngeren Zeit übrig geblieben ist, da ist einiges nachzuholen. Die Enttäuschung unter den Autor:innen ist sehr groß, weil ihnen irgendwann der Literaturgehalt abgesprochen wurde. Auf den Bühnen blieb stattdessen von ihren Texten oft eine Materialsammlung übrig. Das hört man schon lange, und niemand ist glücklich mit der Situation. Es gibt auch einige Theater- und Literaturwissenschaftler:innen, die sich um Dramatik bemühen, aber sie beschränkten sich lange auf wenige Namen wie Elfriede Jelinek oder René Pollesch. Wir brauchen wieder einen zeitgemäßen wissenschaftlichen Diskurs, was Dramatik heute ist.
In jüngerer Zeit gibt es mehr Initiativen von Literaturhäusern. Das Literarische Colloquium Berlin (LCB) lädt Dramatiker:innen ein und vergibt Stipendien. Der Deutsche Literaturfonds hat ein Programm für zeitgenössische Dramatik aufgelegt. Füllen diese eine Lücke?
Obexer: Die Literaturhäuser sind zuerst in die Lücke gestoßen, indem sie Diskussionen und Werkstattgespräche initiierten. Endlich ging es darin mal wieder um die Kunst des Dramatischen, in den Theatern fällt das oft vom Tisch. Ein dramatischer Text kann auch blank angelegt sein. Er umfasst alle literarischen Formen, neben dem Dialogischen auch das Lyrische, das Chorische, das politische Statement, den Bericht, natürlich auch das performative Element, und es wird jetzt wieder mehr und mehr mit Engagement eine Debatte geführt, in der diese Kunst das Thema ist.
Milisavljević: Unsere Texte sind für die Bühne geschrieben. Sie brauchen die Performanz. Dennoch lassen sich Theatertexte auch aus literarischer Perspektive diskutieren. Es gibt zwei Referenzpunkte, der gespielte und der geschriebene Text. Das ist eine Wahrheit, die Theatertexten auch anhaftet. Der dramatische Text hat als Gattung eine hohe Gültigkeit. Eine Zeit lang fühlte es sich hier nach dem kompletten Gegenteil an. Eine neue Denke stellt sich aber mittlerweile ein, die Theaterautor:innen sind nicht mehr tot.
Der Boom des Postdramatischen ist vorbei. Man hat mittlerweile gelernt, dass der Begriff eine kollektive, enthierarchisierte Arbeitspraxis meint und sich nicht gegen den dramatischen Text richtet. Ist es ein guter Moment, um das dramatische Schreiben als Gattung wieder zu stärken?
Obexer: Unbedingt, man muss diese Kunstform stärken, sonst ist sie irgendwann nicht mehr greifbar in dem, was sie ist, was sie soll, was sie kann.
Maria Milisavljević, geboren 1982 in Arnsberg, ist Dramatikerin und Übersetzerin. Ihr Stück „Beben“ war für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert, wurde mit dem Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts und dem Else-Lasker-Schüler-Stückepreis ausgezeichnet.
Maxi Obexer, geboren 1970 in Brixen, schreibt Theaterstücke, Romane, Hörspiele, Essays und Erzählungen. 2014 gründete sie zusammen mit Sasha Marianna Salzmann das Neue Institut für Dramatisches Schreiben (NIDS), das sich mit Schreibwerkstätten und anderen Initiativen für eine diverse dramatische Textkultur einsetzt.
Immer mehr Theaterautor*innen schreiben auch Romane. Ist das ein Feld, auf dem sich Theaterautor*innen neu behaupten sollten?
Milisavljević: Ich habe im Gegensatz zu Maxi noch keine Prosa geschrieben, aber ich sehe, dass man gewisse Dinge in einer anderen Form wagen kann. Ich persönlich schätze es auch sehr, wenn ich die Stimme einer Kolleg:in im Dramatischen und in der Prosa erlebe. Das ist eine interessante Ausweitung des anderen.
Obexer: Manche haben sich auch in die Prosa zurückgezogen, weil es frustrierend war, wie am Theater mit den Texten umgegangen wird. Ich habe mich immer in beiden Feldern gesehen. Prosa nimmt mehr Zeit und Raum in Anspruch, dem muss man sich widmen können. Theater hat noch etwas anderes Schönes, weil es auch ein soziales Leben drumherum gibt.
Milisavljević: Wenn man in den angelsächsischen Raum schaut, werden dort Dramatiker:innen eher vom Film und Fernsehen abgeworben, weil sie so gut Dialog schreiben können. Im deutschsprachigen Raum dürfen Theatertexte mehr als Dialog, das öffnet Türen zum Roman.
Wenn die Theater wieder regulär spielen, was sind Ihre Wünsche und Hoffnungen für die neue Zeit?
Milisavljević: Ich habe gemerkt, dass in der Pandemie eine Solidarität zwischen den Theatergewerken an den Tag getreten ist, die es vorher nicht gab. Als simples Beispiel: Regie und Autor*innen haben festgestellt, dass sie beide Gäste am Haus sind und dementsprechend behandelt werden, wenn die Produktion ausfällt. Es wurde gemeinsam um die Rechte gekämpft. Ich würde mir sehr wünschen, dass man jetzt weiter gemeinsam Theater macht und solidarisch miteinander ist. Das ist meine Hoffnung.
Obexer: Ich wünsche mir volle Häuser mit viel zeitgenössischer Dramatik. Ich würde sogar sagen, ausschließlich zeitgenössischer Dramatik.
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