: Rache ist Halbblutwurst
Gähn: Der sechste Harry-Potter-Band erscheint, und der Carlsen Verlag hat ein Problem
Am vergangenen Samstag erschien in Großbritannien der neue und inzwischen sechste Harry-Potter-Roman von Joan K. Rowling, „Harry Potter and the Half-Blood Prince“. Im Vorfeld wurde abermals eine hysterische Werbekampagne entfacht, die erwachsene Menschen dazu bringt, vor Buchhandlungen zu kampieren, Harry-Potter-Partys zu besuchen, sich Zauberermützen auf die hohlen Köpfe zu stülpen und andere unwürdige Dinge zu tun. Die Branche jubelt, endlich hat man wieder etwas zu verkaufen, und das in großen Quantitäten. Zu den Büchern kommen noch die Devotionalien, das Merchandising. Reibach ist das Thema – es ist fast so langweilig wie ein Harry-Potter-Roman.
Als die Mode aufkam, sich aus der Welt ins Harry-Potter-Land zu verdünnisieren, beteiligten sich daran auch Menschen, die mir am Herzen liegen und auf deren Lesefähigkeit ich einiges gebe. Also schnappte ich mir Band 1 und las. Ich kam bis Seite 60 oder 80, dann war ich des Gähnens müde. Karl May hatte ich als Kind und Jugendlicher schon gelesen, und auf Literatur, die nicht in die Welt hinein-, sondern nur aus ihr hinauswill, bin ich seitdem nicht mehr scharf.
Der Buchhandel aber frohlockt: endlich Stapelware! Und weil Deutschland so Pisa-Studien-geprügelt ist, kann man die rasanten Verkäufe hierzulande gleich als Kulturleistung ausgeben: Es wird wieder gelesen, hurra! Dabei hat ein massenmedial aufgepumptes Massenmodeereignis mit dem solitären Akt des Lesens nichts zu tun. Die Lektüre von Harry Potter folgt im Gegenteil der Maxime: Dabei sein ist alles. Bücher können Lebens- und sogar Überlebensmittel sein – Harry Potter ist Nutella und entsprechend genauso beliebt wie der Brotaufstrich des schurkischen Lebensmittelherstellerkonzerns Nestlé.
In Deutschland wird „Harry Potter and the Half-Blood Prince“ am 1. Oktober erscheinen – der Carlsen Verlag allerdings hat ein Problem mit dem Titel: Darf man in Deutschland Halbblut sagen? Angesichts der deutschen Geschichte? O Händering und Zähneklapper – wie soll das Buch jetzt heißen? Viel Geld will verdient sein mit dem Gepottere, und der Verkauf könnte ja leiden, wenn sich jemand am Wort Halbblut störte und deshalb Krach schlüge.
Dem deutschen Karl-May-Leser ist das Wort Halbblut vertraut. Auch der Radebeuler Shatterhand-Erfinder warf die allseits gern genommene Behauptung auf den Markt, im Halbblut, auch Mischling oder Mestize genannt, vereinten sich stets die negativen Eigenschaften der beiden Rassen, denen er entstamme. Hinterhältig, tückisch und verschlagen ist das Halbblut bei Karl May. Es ist der blanke Unsinn, und wie jede weit verbreitete Dummheit nicht ungefährlich: Hitler, ein glühender Verehrer Karl Mays, sog den Rassequatsch begierig auf – er kam ihm zupass. Zum rassenhassgesteuerten Massenmörder wurde Hitler aber nicht durch die Lektüre Karl Mays, und ich kenne niemanden, der durch Karl Mays Mestizen- und Halbblut-Unfug geistigen oder moralischen Schaden genommen hätte. Man liest das als Jungmensch, und später lernt und weiß man, dass es Blödsinn ist – zumindest, wenn man dann etwas anderes in sich hineintut als Karl May oder eben Harry Potter.
Was wird man tun im Hause Carlsen, um Geschäftsgang und Ansehen zu retten? Welchen deutschen Titel wird man finden, der die pekuniären und ethischen Aspekte der Angelegenheit gleichermaßen berücksichtigt? Harry Potter und der Prinz mit den zwei Ethnien? Harry Potter und die Prinzenrolle halb und halb? Harry Potter und das Ringen um das korrekte Wort? Harry Potter und die falsche Idee, realen Rassismus aus der Welt schaffen zu wollen, indem man die Sprache in die Reinigung gibt?
Oder wird im Gegenteil noch einer draufgesetzt? Harry Potter und Prinz Mischimaschi? Harry Potter und der teuflische Mestize? Harry Potter: Rache ist Halbblutwurst? Und ist Halbleberwurst dann Zeuge?
In solche Klemme gerät und mit solchen Fragen herumschlagen muss sich ein Verlag, der andere Fragen nicht stellt: Warum soll man das Zeug drucken? Weil sonst andere kassieren? Fantasy ist das Gegenteil von Fantasie, das braucht kein Kind und kein Erwachsener. Schaden richtet es zwar auch keinen allzu großen an, aber allein wegen der in Harry-Potter-Verkleidung durch die Welt strummselnden Erwachsenen steht es doch im Rang einer nicht unbeträchtlichen öffentlichen Belästigung.
Wer Kinder und damit sich mit Schönheit und Klugheit beschenken will, kann ihnen James Krüss vorlesen oder zu lesen geben, die Kindergedichte und -märchen von Peter Hacks, „Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel“ von Franz Fühmann, „Die grüne Wolke“ von Alexander Neill, „Der Wind in den Weiden“ von Kenneth Grahame und „Winnie the Pooh“ von A. A. Milne oder sowieso die Märchen der Brüder Grimm in der für die Ewigkeit schön edierten und illustrierten 1995er-Ausgabe von Nikolaus Heidelbach – es gibt so vieles, das so viel mehr Welt zu bieten hat als Harry Potter. Womit das Thema dann auch bitte für immer erledigt sein möge. WIGLAF DROSTE
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