: Er muss fühlen, was er singt
FLAMENCO Diego el Cigala – ein Meister der Gitarre und ein Perfektionist am Mikrofon transferiert den Flamenco nach Übersee
Diego el Cigala heißt der ungekrönte Flamenco-König Spaniens. Doch statt sich für die sprichwörtlichen Reinheit, die pureza, des Flamenco einzusetzen, fusioniert der Sänger den Flamenco mit Bolero und Tango.
„Nein, nein, ich suche nicht, ich treffe und ich fühle“, erklärt Diego el Cigala auf die Frage, ob er auf der Suche nach neuen musikalischen Einflüssen sei, und schüttelt energisch den Kopf. Die pechschwarze lange Mähne kommt dabei mächtig in Bewegung, Kalkül ist dem Mann demnach fremd. Aus dem Bauch oder besser aus dem Herzen heraus treffe er Entscheidungen, behauptet er. „Ich muss fühlen, was ich singe, und die Basis ist immer der Flamenco. Ich bin zu 100 Prozent Flamenco, aber es reizt mich, einen Bolero zu interpretieren, und dabei entdecke ich Übereinstimmungen.“
Klingenden Parallelen zwischen Alter und Neuer Welt hat sich der Gitarre spielende Gitano-Sänger verschrieben, der sich mit seinen langen Haaren, der Vorliebe für schweren Goldschmuck, der dunklen Sonnenbrille und der Behauptung von unverfälschter Emotionalität nahezu alle Zigeunerklischees zu eigen gemacht hat.
Hommage an den Bolero
Diego el Cigalas Interesse an karibischen Musikstilen zeigte sich erstmals, als er mit dem kubanischen Piano-Altmeister Bebo Valdés zusammenarbeitete. Mit Valdés hat er 2002 das bereits legendäre Album „Lágrimas Negras“, eine Flamenco-Hommage an den kubanischen Bolero, eingespielt. Nun erscheint ein neues Album: „ ‚Dos lágrimas‘ ist quasi die gebündelte Erfahrung der fünf Jahre nach ‚Lágrimas Negras‘“, sagt Diego Ramón Jiménez Salazar, so der bürgerliche Name von Diego el Cigala. Den Künstlernamen (dt.: Kronenhummer) hat ihm die Flamenco-Ikone Camarón de la Isla gegeben.
Mit diesem wird der 40-jährige Sänger mit der rauen, oftmals vor Gefühl vibrierenden Stimme in Spanien verglichen. Ähnlich wie der Übervater des Genres versteht auch Diego el Cigala Flamenco als offenen Musikstil, der sich stetig weiterentwickelt. Seit dem internationalen Erfolg von „Lágrimas Negras“ lässt man dem in Madrid geborenen Musiker freie Hand: Bei „Dos lágrimas“, der Hommage an die musikalische Vielfalt Kubas, hat Diego nicht nur gesungen, er hat das Album selbst produziert. „Ich habe nicht intuitiv Boleros interpretiert wie bei meiner Zusammenarbeit mit Bebo Valdés, sondern Stücke, Musiker und Instrumentierung sehr bewusst ausgesucht.“ Dazu ist der Musiker gleich mehrfach auf die Insel gefahren, und die Referenzen von Bebo Valdés Sohn Chucho, Kubas Jazzpianist Numero uno, führten den Mann aus Madrid in Kubas Musikszene ein und sorgten für Kontakte in allen Ecken der Insel. Höhepunkt war ein denkwürdiges Konzert im „Karl Marx“, der wichtigsten Bühne der Revolution.
Legendäre Figuren
Seitdem ist Spaniens ungekrönter König des Flamenco auch auf Kuba bekannt geworden. Das hat es ihm erleichtert, diejenigen Musiker zu den Aufnahmen von „Dos lágrimas“ ins Studio zu lotsen, die er dabeihaben wollte. Legendäre Figuren wie der Pianovirtuose Guillermo Rubalcaba, die routinierten Trommler Tata Güines und Changuito sowie der Son-Meister Reinaldo Creagh gehören dazu.
Sie sorgen dafür, dass Diego el Cigalas Musik kubanischen Drive bekommt, dem wiederum die live eingespielten Nummern mit den kubanischen Senioren großen Spaß zu machen scheinen. Wenn seine markante Stimme wie bei dem Bolero-Klassiker „Dos gardenias“ im grandiosen Finale über einer typischen Descarga, einem rhythmischen Feuerwerk an Lebensfreude, schwebt, dann könnte das bei Flamenco-Puristen für Irritation sorgen. Diego el Cigala kümmert das nicht, er will sich auch weiterhin nicht um Genregrenzen kümmern. Das beweist „Caruso“ – das erste Tangostück, das er interpretiert. Weitere sollen alsbald folgen. KNUT HENKEL
■ Diego el Cigala: „Dos lágrimas“ (Deutsche Grammophon/Universal); Liveauftritte: 24. 9. Düsseldorf, 26. 9. Mainz, 28. 9. Hamburg, 29. 9. Berlin
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