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Forschungsprojekt zu Arbeitsmigration„Weißer Schnee und schwarzes Brot“

Die Wilhelmshavener Schreibmaschinenfirma Olympia avancierte einst Dank griechischer Arbeitsmigranten zum Weltmarktführer. Wie war deren Leben?

War mal was: eine Schreibmaschine von Olympia Foto: dpa / Caroline Seidel

Seit 30 Jahren sind die Werkstore dicht. In den Olympia Werken in Roffhausen bei Wilhelmshaven wurden an den fast endlosen Produktionsbändern Büroschreibmaschinen produziert, zeitweise von bis zu 13.000 Menschen – darunter fast 5.000 Griechinnen und Griechen. Sie stellten hier die größte und bedeutendste Gruppe von Arbeitsmigranten, einst „Gastarbeiter“ genannt. Doch wie haben diese „Olympianer“ in Wilhelmshaven gelebt und gearbeitet, was haben sie in ihrer freien Zeit angestellt? Und wie stand es um ihre Integration in die nordwestdeutsche „Aufnahmegesellschaft“?

Antworten auf diese Fragen ist die Kulturwissenschaftlerin Maike Wöhler auf der Spur: Sie forsche „gegen das Vergessen“, sagt die Bremerin selbst. Unterstützt von ehemaligen Betriebsräten der Olympia Werke und gefördert vom Verband „Oldenburger Landschaft“, interviewt Wöhler rund 100 der ehemaligen griechischen Gastarbeiter der ersten und zweiten Generation. Was sie dabei erfährt – und später in einem Buch veröffentlichen möchte –, ist erstaunlich. „Die griechischen Arbeitsmigranten verfügten über eine außergewöhnlich hohe Integrationskraft, ohne ihre eigene kulturelle Identität aufzugeben“, so beschreibt Wöhler vorab ein wichtiges Ergebnis ihrer Feldforschung.

Doch der Reihe nach: In den 1960er-Jahren galt Griechenland als das Armenhaus Europas. Besonders litten die Menschen im infrastrukturell äußerst schwachen Norden des Landes: Sie arbeiteten in der Landwirtschaft oder hatten das bis Ende der 1950er-Jahre in der kriselnden Tabakindustrie getan – nicht selten am Rande des Existenzminimums.

Am anderen Ende Europas boomte die ökonomisch aufstrebende Bundesrepublik Deutschland. Die zahlreichen neuen Arbeitsplätze konnten mit einheimischem Personal nicht voll besetzt werden. So begann, formal mit der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens zwischen der BRD und Griechenland am 30. März 1960, die Geschichte der griechischen Gastarbeiter.

Auch die Olympia Werke, zeitweise der – nach VW – zweitgrößte Arbeitgeber Niedersachsens, suchten in jener Zeit verzweifelt frische, fitte Arbeitskräfte. Die Firmenleitung schickte sogar eigene Anwerbe-Agenten in nordgriechische Dörfer und Städte. „Die potentiellen Werktätigen wurden dann in die Züge gesetzt und fuhren über München bis nach Wilhelmshaven“, hat Wöhler erfahren.

Unter diesen Anreisenden waren viele Frauen. „Dass Arbeitsmigration in jenen Jahren männlich war, ist eher ein Mythos“, sagt Wöhler, die auch schon über griechische Migranten im hessischen Wiesbaden geforscht hat.

Zum Ankommen gehörte ein durchaus entwürdigender Gesundheitscheck: Ein deutscher Olympia-Firmenarzt untersuchte die nackten Anwärterinnen und Anwärter „auf Herz und Nieren“– dann wurden die Griechen sofort an die Produktionsbänder gestellt. Eine klassische Einweisung in die zu erledigende Arbeitseinweisung gab es nicht, auch wegen der Sprachbarriere.

Stattdessen wurden Hinweisschilder in den Heimatsprachen der Gastarbeiter an den Maschinen befestigt, die den Arbeitsablauf erklären sollten. „Griechen galten als besonders geschickt“, sagt Wöhler, „aber auch als ‚pflegeleicht‘ und angepasst.“ Zunächst wohnten die griechischen Migranten in einfachen Baracken, später teilten sie sich kleine Wohnungen. „Für eine angemessene Unterkunft muss gesorgt werden“, so stand es in den Arbeitsverträgen.

Wie arglos und teilweise naiv sich diese Menschen aufmachten, ist bemerkenswert. Meist landeten sie im Winter am Bahnhof Wilhelmshaven – und der Schock war groß. „Weißer Schnee und schwarzes Brot. Mehr nicht. Dabei dachten wir, wir kommen ins Paradies“: Das sagte eine Arbeitsmigrantin im Rückblick.

Umso wichtiger war offenbar, sich in der kalten zweiten Heimat festzuhalten: an der eigenen Kultur, der Sprache und Musik, an Familie und orthodoxer Kirche. „Griechische Kulturpraktiken wie das Feiern der Namenstage und Familienfeste, die Fastenzeit, das Osterfest und vieles mehr, wurden nicht aufgegeben“, weiß Wöhler. „Gleichzeitig jedoch legten die Griechen eine erstaunliche Offenheit gegenüber der Aufnahmegesellschaft zu Tage.“

Sie engagierten sich im Betriebsrat und im örtlichen Fußballverein. Schnell entdeckten Neuankömmlinge auch die preiswerten Kurse der Volkshochschulen: Deutsch zu lernen, galt als Schüssel der Integration. „Ohne Sprache bist du nichts“, erklärte eine ehemalige Gastarbeiterin Wöhler im Interview.

Üblich war, sehr viel zu arbeiten, oft in Wechselschicht: Die Kinder wurden am Werkstor von der Mutter an den Vater übergeben, oder umgekehrt, damit sie nicht unbeaufsichtigt waren. Wer nach der Schicht noch Zeit hatte und nicht zu müde war, der half gerne auch noch einem Kumpel in dessen Taverne aus.

Das Mitgebrachte, die kulturelle Identität wurde gewissenhaft auf die zweite und dritte Generation weitergegeben. Gleichzeitig liefen die aktiven Anpassungsprozesse an die Aufnahmegesellschaft – sie galten als eine Art Rüstzeug, um in der Fremde bestehen zu können.

Mit dem Beitritt Griechenlands zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1973, dem Vorläufer der heutigen EU, endete die organisierte Anwerbezeit. Bis dahin waren rund eine Million griechischer Gastarbeiter nach Deutschland eingereist – das entspricht einem Zehntel der griechischen Bevölkerung. Aus den Arbeitsmigranten der ersten Stunde sind in Wilhelmshaven und Umgebung längst „Deutsch-Griechen“ geworden. Und in die ehemaligen Fabrikhallen der Olympia-Werke in Roffhausen bei Wilhelmshaven ist ein großes Call Center eingezogen.

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