Anruf von Onkel Ömer aus der Türkei: Die Coronaschwangerschaft
Onkel Ömer lebt in einem Dorf in der Türkei. Die Coronahochburg Istanbul ist weit entfernt. Aber trotzdem hat Corona alles durcheinander gebracht.
M ein Onkel Ömer ruft aus der Türkei an und klingt sehr, sehr aufgeregt. „Osman, du kennst doch sicherlich die Coronazahlen in der Türkei, nicht wahr?“, fragt er.
„Ja, kenne ich. Täglich offiziell 1.999 Infizierte, in Wirklichkeit 60.000. Ihr seid Spitzenreiter in Europa“, antworte ich.
„Genau. Die Hälfte davon in Istanbul.“
„Ich weiß. Istanbul ist Europameister. Deshalb freue ich mich, dass du und Tante Ülkü 1.500 Kilometer entfernt von Istanbul lebt.“
ist Satiriker in Bremen. Er liest seine Geschichten im Radio bei Cosmo unter dem Titel „Alltag im Osmanischen Reich“. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).
„Freu’ dich nicht zu früh, die Hälfte von unserem Dorf lebt inzwischen in Istanbul.“
„Echt? Wer denn?“
„Zum Beispiel meine Schwägerin Ümmüye.“
„Die Schwester von Tante Ülkü? Was ist mit ihr? Hat sie sich etwa angesteckt?“
„Nicht nur das. Danach bekam sie höllische Angst zu sterben und ist sofort zu uns ins Dorf gekommen, um sich von allen zu verabschieden. Sie umarmte jeden im Dorf leidenschaftlich und küsste mit viel Tränen und Spucke auf beide Wangen.“
„Die Ümmüye, die infiziert ist, hat das ganze Dorf abgeknutscht, um sich zu verabschieden?“, frage ich völlig schockiert.
„Ja, das hat sie, meine Schwägerin Ümmüye.“
„Aber das darf sie nicht! Sie wird noch alle im Dorf anstecken!“
„Das hat sie bereits. Unser ganzes Dorf steht unter Quarantäne.“
„Bei Allah, was ist denn mit euch beiden?“, frage ich besorgt.
„Also, deine Tante Ülkü und ich wurden zuerst positiv getestet …“
„Bei Allah, das gibt’s doch nicht!“
„Beim zweiten Test waren wir zum Glück wieder negativ.“
„Na, Gott sei Dank! Ich freu’ mich für euch!“
„Freu’ dich nicht zu früh, beim dritten Test waren wir wieder positiv.“
„Onkel Ömer, mach dir keine Sorgen, bei dem vierten Test seid ihr bestimmt wieder negativ“, tröste ich ihn.
„Das Ergebnis des vierten Tests haben wir gerade bekommen.“
„Negativ, nicht wahr? Sag’ schon“, rufe ich total gespannt.
„Nicht ganz“, sagt er.
„Nicht ganz? Habt ihr doch Corona?“
„Corona nicht. Aber schwanger. Das Ergebnis vom vierten Test ist schwanger.“
„Wie bitte? Bekommt Tante Ülkü mit 75 Jahren ihr neuntes Kind?“
„Nicht sie, mein Testergebnis ist schwanger.“
„Oh, das ist aber eine tolle Nachricht. Was sagt denn meine Tante Ülkü dazu?“, lache ich mich kaputt.
„Sie sagt, ich soll das Baby abtreiben. Ich will es aber gebären und es Cavid-9 nennen. Ich freue mich schon.“
„Onkel Ömer, freu’ dich nicht zu früh. Beim fünften Test könnte sich der Cavid-9 als Covid-19 entpuppen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen