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Am Arsch des Wolfes

EIGENWILLIG In „Das Haus auf Korsika“ erzählt Pierre Duculot die Geschichte der Selbstfindung einer jungen Belgierin, die eine unerwartete Erbschaft macht. Dabei gelingt es ihm, das Alltägliche interessant zu machen

VON WILFRIED HIPPEN

„Geschenkt ist noch zu teuer“ war der überraschend treffende deutsche Titel einer Hollywoodkomödie mit Tom Hanks, in dem sich ein schönes Haus auf dem Lande als ein Monster entpuppte, das scheinbar endlos Geld und Energien fraß. Am Anfang scheint auch „Au Cul du Loup“ (so der Originaltitel) in diese Richtung zu gehen. Die Kellnerin Christina bekommt von ihrer kürzlich verstorbenen Großmutter das titelgebende Haus vererbt und reist aus einer spontanen Entscheidung heraus alleine von ihrem belgischen Heimatort in jenes abgelegene Dorf, das nach der Auskunft der Korsen, die sie nach dem Weg fragt, „am Arsch des Wolfes“ liegt. Dort findet sie ein halb verfallenes Gemäuer vor, das sie zuerst daran zweifeln lässt, wie gut es ihre Oma denn nun wirklich mit ihr gemeint hat. Alle raten ihr dazu, das heruntergekommene Haus zu verkaufen, und zuerst scheint sie sich aus reinem Trotz dagegen zu entscheiden. Im Winter ist das Bergdorf halb verlassen, sie hat keine ordentlichen Platz zu schlafen, ihr ist kalt und sie hat Hunger, doch die wenigen Ansässigen helfen ihr und nachdem sie erfährt, welche Rolle dieses Haus für ihre Großeltern gespielt hat, fühlt sie eine familiäre Bindung zu dieser Gegend, in der sie vorher noch nie gewesen war.

Pierre Duculot scheint ein Schüler der Gebrüder Dardenne zu sein. Wie diese beginnt er sein Film in der Tristesse der belgischen Arbeiterstädte. Christina lebt in Charleroi, der Heimatstadt des Regisseurs. Deshalb übertreibt er es auch nicht mit der proletarischen Ödnis. Man kann in dieser grauen und nasskalten Stadt durchaus bequem leben. Christinas italienischstämmige Familie hat es sich hier über mehrere Generationen hinweg gut eingerichtet, und auch ihr weiterer Lebensweg scheint hier vorgezeichnet zu sein. Doch die 30-Jährige ist eigensinnig, und mit Christine Cornil hat Duculot eine Darstellerin gefunden, die ihre Abenteuerlust und ihre Sehnsucht nach etwas Anderem und Neuem von der ersten Szene an spürbar machen kann. Die Bilder sind in einem eher dokumentarischen Stil gehalten.Man hat nie das Gefühl, etwas würde extra für die Aufnahmen aufgeräumt oder schön hergerichtet, und umso eindrucksvoller wirkt die archaische Schönheit der korsischen Berglandschaft. Duculot hat ein Talent dafür, interessant vom Alltäglichen zu erzählen. Er zeigt wie Christina schläft, was sie isst und wie sie sich eine Mofa besorgt. Und dabei gelingt es ihm, spürbar zu machen, wie sie langsam zu sich selber findet.

Man spürt, wie vertraut mit den Spielorten und den dort lebenden Menschen Duculot ist, und dadurch kommt man ihnen so nah, wie dies nur bei wenigen Filmen gelingt. Das Licht, das Wetter, die Anstrengungen einer Wanderung von Christina hinauf auf eine Bergalm, die Arbeiten am Haus, wobei man fast glaubt, die passenden Schieferteile für das Dach mit auszusuchen und einzufügen – all das wird hier in einer ganz eigenen, unbehauenen Schönheit gezeigt. Und wenn Christina zusammen mit einer alten Frau am Essenstisch dem Geheimnis ihrer Großeltern auf die Spur kommt, bekommt der Film auch eine epische Tiefe, die nie forciert wird und gerade dadurch so eindrucksvoll wirkt. So findet Duculot bei seinem Langfilmdebüt auch ein einfaches und grandioses letztes Bild, mit dem er einen perfekten Schlusspunkt setzt und Christinas Freiheit feiert.

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