Die Wahrheit: Otzenschlotze
Erhellend, dass Worte, die mit der Buchstabenfolge Kn- beginnen, oft kleine, runde Dinge beschreiben: Knospe oder Knopf. Hilft beim Scrabble spielen!
D aniel Tammet, ein Engländer mit Asperger und einigen hochentwickelten Inselbegabungen, tourte vor ein paar Jahren mit seinem Buch „Wolkenspringer. Von einem genialen Autisten lernen“ durch die Talkshows dieser Welt. Vor seinen Auftritten lernte er immer noch schnell die jeweilige Landessprache. Mir ist dabei ein Interview in Erinnerung geblieben, das er im Vorfeld dem Spiegel gab und in dem er seine ebenso erfolgreiche wie unorthodoxe Herangehensweise ans Sprachenlernen beschrieb.
Tammet setzt sich nämlich nicht hin und lernt thematische Vokabelblöcke wie in der Schule („Im Haushalt“, „Sich streiten“). Er konjugiert auch keine Verben durch – er erkennt Strukturen. Im Deutschen etwa fiel ihm auf, dass Worte, die mit der Buchstabenfolge Kn- beginnen, oft kleine, runde Dinge beschreiben: Knolle, Knospe, Knopf. Lange, schmale Dinge hingegen beginnen eher mit St-: Stängel, Strahl, Strauch, Stiefel. Ich fand das unfassbar erhellend.
Diese Erkenntnis fällt mir nun oft wieder ein, wenn ich online Wordfeud oder auf einem Brett Scrabble spiele: Mit manchen Buchstabenkombinationen hat man sehr viel mehr Möglichkeiten als mit anderen. Das ist zunächst recht banal; interessant ist aber, wenn diese vielen Kombinationen auch noch unübersehbare inhaltliche oder assoziative Gemeinsamkeiten haben.
Letztens zum Beispiel hatte ich die Buchstaben O, T, Z, K, M und R zusammen, was mir Möglichkeiten Richtung KOTZ, ROTZ und MOTZ eröffnete. Leider fand ich nichts, wo ich „Kotze“, „motzen“ oder „rotzen“ hätte anlegen können, aber ich musste sofort an Daniel Tammet denken. „Otz“ hat offenbar ein irgendwie abfälliges, unschönes bis ekliges Echo in der Sprache. Außerhalb meiner vorgegebenen Kombinationsmöglichkeiten lässt sich da noch mehr an Belegen finden. „Trotz“ und „Protz“ zum Beispiel – oder dieses hässliche Wort für das weibliche Genital.
Der Kinderbuchautor Otfried Preußler musste sich all diese Zusammenhänge wahrscheinlich nicht mal bewusst aufdröseln, um einen überzeugenden Namen für seinen fiesen Räuber zu finden. Hotzenplotz – das funktioniert einfach intuitiv. Bestimmt gibt es noch mehr, viel, viel mehr, was sich an solchen Strukturen finden ließe in der deutschen Sprache. Mätzchen mit ätzender Krätze vielleicht, schwülstig-schwerfällige Schwadroneure? Oder das pralle pr-, das mit prächtigen Preisen prunkt und prangt?
Natürlich darf man nun auch nicht meinen, dass es sich hier um Regelhaftes handeln würde. Die Eleganz, der Elefant und das Element scheinen mir eher durch Verschiedenheit aufzufallen. Andererseits: Wer weiß, welche Verbindungen jemand wie Tammet zwischen ihnen ziehen kann, für die ich nur nicht ausreichend empfänglich bin?
Bedeutsam sind solcherlei Einsichten sicherlich für Lyrikerinnen, aber noch viel mehr für Leute, die Namen für Produkte erfinden. Also: Das neue Trendgetränk lieber nicht Otzenschlotze nennen!
Obwohl …
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