Mediziner über das Hellp-Syndrom: „Das muss ernst genommen werden“
Die zweithäufigste Ursache für Müttersterblichkeit ist die sogenannte Schwangerschaftsvergiftung. Der Mediziner Dietmar Schlembach erklärt die Krankheit.
taz am wochenende: Herr Schlembach, das Hellp-Syndrom wird umgangssprachlich auch als Schwangerschaftsvergiftung bezeichnet. Aber was genau ist eigentlich eine Schwangerschaftsvergiftung?
Dietmar Schlembach: Schwangerschaftsvergiftung wollen wir eigentlich nicht mehr sagen, weil es ein falsches Bild erzeugt. Abgesehen davon verwendet man den Begriff Schwangerschaftsvergiftung nicht nur für das Hellp-Syndrom, sondern generell für alle hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen – also alles, was mit Bluthochdruck in der Schwangerschaft verbunden wird. Das Hellp-Syndrom ist eine Untereinheit oder Komplikation dieser hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen.
Was steckt denn hinter dem Namen Hellp? Es erinnert an „hell“ und „help“, englisch für Hölle und Hilfe.
Es ist ein englisches Akronym für die Symptome des Syndroms, also Hämolyse, erhöhte Leberwerte und niedrige Thrombozyten. Das Syndrom wurde Anfang der 80er Jahre entdeckt.
Das heißt, das Hellp-Syndrom hat im eigentlichen Sinne nichts mit einer Vergiftung zu tun.
So ist es. Es ist ein umgangssprachlicher Begriff, der sich nach wie vor hartnäckig hält, aber es hat nichts mit irgendwelchen Giftstoffen zu tun.
Wenn es keine Vergiftung ist, wie orndet man es dann medizinisch ein?
Wir wissen noch immer nicht genau, wo es im Einzelfall herkommt und warum es passiert. Was wir aber wissen: Dass es einen Zusammenhang gibt mit einer schlecht funktionierenden Plazenta. Und wir wissen auch, dass Mütter mit Vorerkrankungen wie etwa Fettleibigkeit oder Bluthochdruck eher ein Hellp-Syndrom entwickeln können als gesunde Frauen.
ist Chefarzt für Geburtsmedizin und Leiter des MVZ Pränataldiagnostik am Vivantes Klinikum in Berlin-Neukölln.
Wie wirkt sich das Hellp-Syndrom auf den Fötus aus?
Der Fötus ist unterschiedlich betroffen. Ich kann da keine allgemeine Antwort geben, das hängt von der Schwangerschaftswoche ab. Wir unterscheiden momentan unter einer plazentaren Problematik und einer mütterlichen Problematik. Das heißt, wenn die Plazenta nicht adäquat funktioniert, dann hat das meistens auch eine Unterversorgung des Kindes zur Folge. Ist es ein mütterliches Problem, dann ist das Kind nicht im gleichen Ausmaß davon betroffen. Wir wissen durch Bluttests, dass in jeder Schwangerschaft Plazentamaterial, also Mikropartikel aus der Plazenta, in den mütterlichen Kreislauf freigesetzt wird. Und je schlechter die Plazenta funktioniert, desto mehr Plazentamaterial gerät in den mütterlichen Kreislauf, was zum Problem werden kann. Der Körper reagiert dann nämlich häufig mit den Symptomen des Hellp-Syndroms oder einer Präeklampsie.
Und was ist der Unterschied?
Die Präeklampsie ist in ihrer klassischen Definition ein Bluthochdruck mit einer vermehrten Eiweißausscheidung. Da müssen nicht unbedingt abnormale Laborwerte dabei sein, in den meisten Fällen geht das aber mit einher. Das Hellp-Syndrom entsteht meist durch eine Eskalation einer Präeklampsie.
Wie häufig ist denn eine Präeklampsie oder das Hellp-Syndrom bei Schwangeren?
Beide zusammengefasst kommen ungefähr in drei bis fünf Prozent aller Schwangerschaften in Deutschland vor. Das Hellp-Syndrom mit einem lebensgefährdenden Verlauf ist dabei allerdings noch viel seltener. Es ist aber dennoch eine Erkrankung, die von uns Geburtshelfern sehr ernst genommen werden muss. Es gibt zwar milde Verläufe, aber viele verlaufen dramatisch, zu Todesfällen kommt es jedoch immer seltener. Nach Blutungen durch oder nach der Geburt steht es an zweiter Stelle der Müttersterblichkeit. In absoluten Zahlen gesehen ist das extrem wenig.
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Besteht aufgrund der Seltenheit eines Hellp-Syndroms nicht die Gefahr, dass die Krankheit unbemerkt bleibt?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Die Geburtshelfer und Ärztinnen sind für diese Problematik auf vielfältige Weise sensibilisiert, beispielsweise durch Fortbildungen. Das ist bei allen in den Köpfen drin. Als ich in den 1990er Jahren meine Ausbildung begann, war die Sensibilisierung für das Hellp-Syndrom allerdings noch sehr gering und es kam zu katastrophalen Fällen. Das kommt heute nur noch äußerst selten vor.
Woran merkt die Schwangere, dass etwas nicht stimmt?
Bestimmte Symptome wie Bluthochdruck werden meistens erst spät bemerkt, aber Frauen können durchaus spüren, dass etwas nicht stimmt. Ein typisches Merkmal für das Hellp-Syndrom sind Oberbauchschmerzen. Das Dilemma ist halt, dass der Verlauf der Krankheit schwer vorauszusehen ist. Sie kann sich langsam entwickeln, aber auch innerhalb weniger Tage schlechter werden und zu einer akuten Gefahr werden. Das heißt, sobald eine Präeklampsie diagnostiziert wurde und sich zu einem Hellp-Syndrom entwickeln könnte, ist in den meisten Fällen eine engmaschige und stationäre Beobachtung notwendig.
Lässt sich eine Präeklampsie in einer pränatalen Kontrolluntersuchung erkennen?
Wir haben Möglichkeiten, darauf zu screenen. Aber Screening bedeutet wie bei jedem Screeningtest, dass die Fehlerquote hoch sein kann. Man kann zumindest mit einer Untersuchung um die zwölfte Schwangerschaftswoche herum abschätzen, wie hoch das Risiko für die Patientin ist, eine derartige Komplikation zu entwickeln, insbesondere eine Komplikation, die eine Entbindung vor der 34. Schwangerschaftswoche notwendig macht. Man kann dann als Prophylaxe Aspirin geben und damit das Problem einer Frühgeburt deutlich senken. Aber eine genetische Analyse etwa durch eine Fruchtwasseruntersuchung wie beim Downsyndrom ist nicht möglich. Eine sichere Diagnose kann letztlich nur gestellt werden, wenn sich Symptome zeigen.
Gibt es auch eine psychische Erklärung für das Hellp-Syndrom?
Nein. Eine Präeklampsie oder das Hellp-Syndrom kann man sich nicht einbilden, etwa bei Unsicherheit oder Ängstlichkeit. Stress allgemein ist nicht gut, sicher, aber das Hellp-Syndrom hat keine psychische Komponente.
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