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Begegnung im Grand CanyonDer weiße rote Mann

In Zeiten des Permanent-Staus verkauft sich eine Aura von Einsamkeit immer noch am besten. Und Harald vermittelt zwischen den Welten.

Ein Hauch von Einsamkeit am Grand Canyon Foto: Galyna Andrushko/imago-images

M ein Vater liebte es, zu verreisen. Von jeder Tour brachte er ein volles Notizbuch mit nach Hause. „Geistige Notration für schlechte Zeiten“, erklärte er, und wir Kinder schüttelten den Kopf. Als er alt wurde, machten seine Beine nicht mehr mit. Doch nun studierte er Tag für Tag seine Aufzeichnungen und erlebte glücklich jede Fahrt ein zweites Mal. Auch heute herrschen ungute Zeiten in Sachen Reisen. Doch auch ich habe über die Jahre Notrationen gesammelt. Und ich teile sie gern. Damit wir nicht vergessen, warum wir gereist sind. Und wieder reisen werden.

Die korkenzieherförmigen Felsspindeln des Antilope Canyon, an denen das Licht entlangleckt wie Honig, haben wir mittlerweile gesehen. Am Marble Plateau sind wir durch Ebenen aus versteinertem Blätterteig gefahren. Und natürlich waren wir am Grand Canyon.

Bleibt am Ende Monument Valley mit seinen roten Monolithen hinter der braunen Ebene. Dort wartet Harold. Blaue Jeans, weißes Hemd, Baseballcap mit aufgesticktem Indianerkopf, weiß-rötliches Haar, Brille, fülliges Gesicht – nein, Winnetou ähnelt der Navajo wahrlich nicht. Harold ist 36 und Albino.

Autogramme von Michael J. Fox? Keine Lust

Er fährt die Gruppe in seinem Bus an den kariösen Riesenbackenzähnen des „Daumen Ost“ und „Daumen West“ über die Sandpiste ins Tal und erzählt dabei auflockernde Geschichten: Metallica, Simple Mind und Michael Jackson haben hier Videos gedreht. Michael J. Fox war sauer, weil die Navajos nicht in Scharen um Autogramme baten, als er „Zurück in die Zukunft“ drehte.

Und fast jeden Monat setzt irgendeine Werbeagentur per Helikopter einen neuen Wagen auf die Spitze eines der erhabenen Felsen und ins Bild – in Zeiten des Permanent-Staus verkauft sich eine Aura von Einsamkeit immer noch am besten.

Da ist die Hütte, in der Harolds Großmutter lebte, ehe sie „ins nächste Leben überging“. Da die Düne, über die er als Kind rutschte. Auf einen der Felsen haben die Anasazi, die Ureinwohner, vor mehr als 800 Jahren Petroglyphen gemalt, „eine Antilope oder ein Schaf könnte das sein“. Dann diskutiert Harold lieber wieder das Pro und Contra verschiedener Kameras oder die Vorzüge thailändischer Küche gegenüber der amerikanischen.

Am Fuße der Raingod Mesa, einer 60, 70 Meter hohen Felswand, werden die Zelte aufgestellt. Drei der rund 20 Führer im Valley haben die Erlaubnis, mit Touristen hier zu campen. Im Sommer kommen da schon mal hundert Leute zusammen, heute stehen nur die acht Zelte der deutschen Gruppe.

Ein Feuer lodert, später brutzeln Steaks über der Glut, und Harold beginnt die Trommel zu schlagen und zu singen. Nein, keine traditionellen Lieder, sondern eigene Kompositionen. Sie klingen kehlig und rau, nicht anders als die traditionellen. Große Motten trommeln aufs Autodach wie Regen, Millionen von Sternen glitzern und die Luft ist wie Samt.

Dann beginnt Harold zu erzählen: Als Kinder posierten er und sein Bruder für Touristen. 50 Cents gab es pro Foto, ein Wochenende brachte schon mal hundert Dollar, womit sie als die Reichsten ins Internat zurückkehrten. Später ging er weg, studierte auf Lehrer, lebte in Schweden, kam zurück und ist jetzt erfolgreich im Tourismusgeschäft tätig. Von Schwitzhütten erzählt er, von den 75 Prozent Arbeitslosigkeit im Reservat, und von der Sprache der Navajos, die bald keiner mehr lernen will.

Im Schein des knisternden Feuers, unter der wie ein Schatten dunkel aufragenden Felswand sitzt der weiße rote Mann auf seinem Stuhl, spricht leise, so dass alle angestrengt lauschen müssen, und gibt genau so viel preis, wie er möchte. Er erfüllt Erwartungen und düpiert sie wieder, öffnet einen kleinen Blick auf die Lebenswirklichkeit seines Volkes und hält die Neugierigen doch weit draußen. Er lässt keine Zweifel: Die Fremdheit ist nicht aufhebbar.Der Graben zwischen der roten und der weißen Seite der Geschichte ist weder mit Informationen zu füllen, noch lässt er sich hinwegplaudern.

Begnügt euch, Touristen, näher kommt ihr nicht. Aber die Sterne und der Fels, das Feuer und die Lieder bleiben euch.“

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