portrait: Smart, modern: Sozialist für Bulgarien
Wurde die DDR-Eiskunstläuferin Katharina Witt einst als schönstes Gesicht des Sozialismus gehandelt, so ist Sergei Stanischew das „junge und moderne Gesicht“ der bulgarischen Sozialisten. So jedenfalls sieht und verkauft sich der 39-Jährige, unter dessen Führung die Sozialistische Partei (BSP) nach achtjähriger Opposition bei den Wahlen im Juni stärkste Partei wurde. Gestern erhielt Stanischew, der aufs Lächeln dauerabonniert zu sein scheint, von Präsident Georgi Parwanow den Auftrag zur Regierungsbildung. Rein äußerlich hat Stanischew mit der muffigen Nomenklatura nichts mehr gemein. Mausgrauen Anzügen, schlecht sitzenden Synthetikhemden und überdimensionierten Hornbrillen setzt der promovierte Historiker mit der Igelfrisur Designergläser und teure Markenanzüge entgegen.
Wer des Bulgarischen nicht mächtig ist, kann sich mit Stanischew auch auf Russisch oder Englisch unterhalten. Die exzellenten Englischkenntnisse erwarb er bei einem einjährigen Studienaufenthalt an der London School of Economics. Zuvor hatte der begeisterte Motorradfahrer, der als Sohn eines KP-Funktionärs und einer russischen Mutter im ukrainischen Herson geboren wurde, die Staatliche Universität in Moskau abgeschlossen.
1998, nach seiner Rückkehr aus Moskau, wurde Stanischew internationaler Sekretär der BSP und drei Jahre später – unter tatkräftiger Mithilfe des amtierenden Staatschefs Parwanow – Chef der Sozialisten. Ein klares politisches Profil hat Stanischew, der sofort die Bilder der alten KP-Garde in seinem Büro abhängen ließ, seitdem nicht entwickelt. Doch an einem lässt er keinen Zweifel: dem Westkurs seiner Partei. Dazu gehört der plangemäße Beitritt Bulgariens zur Europäischen Union 2007 genauso wie die Mitgliedschaft in der Nato. „Unser Ziel ist, dass sich junge Bulgaren wie Europäer in Bulgarien fühlen und nicht wie Bulgaren, die dann irgendwo anders in Europa leben“, sagte er kürzlich in einem Interview.
Experten diskutieren jetzt die Frage, inwieweit es Stanischew gelingen wird, die alten Kader in der Partei unter Kontrolle zu bekommen. Und denen gefällt am smarten Parteichef manches nicht – allem voran, dass Stanischew seit Jahren ohne Trauschein mit der bekannten bulgarischen TV-Journalistin Elena Jontschewa zusammenlebt. Der Sofioter Politologe Iwan Krastew sieht zudem in der mangelnden Regierungserfahrung ein Problem. „Die Computer haben eine andere Software bekommen, doch die Sozialisten haben niemals mit dieser Software gearbeitet“, sagt er. Mal sehen, wie schnell Stanischew mit dem neuen Programm umzugehen lernt.
BARBARA OERTEL
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