Rentner in Belarus: Immer noch auf der Jagd
Ein 84-Jähriger geht auf jede Demo der Opposition und ist zum Symbol geworden. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 52.
W ir sehen ihn auf jedem „Marsch der Mutigen“, diesen Mann mit grauen Haaren. Er ist, genauso wie Nina Baginskaja, zum Symbol für die Standhaftigkeit und mentale Kraft der Belarussen geworden. Er ist ein echter Held, der schon seit Jahren für die Freiheit seines Landes kämpft. Jan Grib, ein 84jähriger Dichter und eine Person des öffentlichen Lebens, nimmt aktiv an der Protestbewegung teil. Das Bild von der Festnahme dieses alten Mannes am 25. März 2017 erreichte viele internationale Medien.
„Heute ist aus der belarussischen Bevölkerung ein wahrhaftiges belarussisches Volk geworden. Unsere Aufgabe ist es, eine Nation zu erschaffen“, sagt Grib.
Записи из дневника на русском языке можно найти здесь.
Zu Sowjetzeiten während des sowjetisch-chinesischen Konfliktes war Jan Grib Kampfpilot und diente bei Blagoweschtschensk, einer Stadt im fernen Osten Russlands an der Grenze zu China. Doch er wurde abgezogen und kehrte nach Belarus zurück. Grib schloss ein Studium an der Universität für Radiotechnik ab, arbeitete in Fabriken und unterrichtete Elektronik für Eletromechaniker.
Auch an kommerziellen Aktivitäten versuchte er sich. „Unter Gorbatschow dachten wir, dass jetzt die Freiheit angebrochen sei. Doch dann verblasste alles, weil bei uns in Belarus ein veritabler Verrückter an die Macht kam. Schnell haben wir unsere Mannschaft aufgelöst. Ich habe den Jungs gesagt: Bestenfalls treiben sie uns auseinander, schlimmstenfalls stecken sie uns ins Gefängnis.“
ist 45 Jahre alt und lebt und arbeitet in Minsk. Das Lebensmotto: Ich mag es zu beobachten, zuzuhören, zu fühlen, zu berühren und zu riechen. Über Themen schreiben, die provozieren. Wegen der aktuellen Situation erscheinen Belarus' Beiträge unter Pseudonym.
Über die heutige Situation sagt er: „Es ist schwer sich vorzustellen, dass eine solche Gewalt und Finsternis im Herzen Europas möglich sind. Sogar unter Stalin hat es so etwas nicht gegeben. Damals waren die Gefangenen-Transporter, schwarze Trichter genannt, still und heimlich nachts unterwegs, um die Menschen mitzunehmen. Es war ruhig, wenn sie sie ergriffen und ruhig, wenn sie mit ihnen wegfuhren. Heutzutage schlagen sie völlig unschuldige Menschen am helllichten Tage in ihren Hinterhöfen zusammen (Eine Anspielung auf Roman Bondarenko, der am 12. November an den Folgen eines Polizeieinsatzes starb, Anm. d. Red.). Übrigens hat dieser Junge an keinen Kundgebungen und Märschen teilgenommen.
Ab 1989 habe ich mich mit Semjon Poznjak, Juri Chodyko (Vorsitzende der Partei Belarussische Volksfront (BNF), Anm. d. Red.) und Wassili Bykow (einer der bekanntesten belarussischen Schriftsteller, gest. 2003, Anm. d. Red.) dem Aufbau der BNF gewidmet. Seitdem wurde ich regelmäßig festgenommen und von Schlagstöcken auf Kopf und Schultern „gestreichelt“. Ich wurde regelmäßig verurteilt und habe einen ganzen Batzen Gerichtspapiere in einer Plastiktüte gesammelt.
Ich warte nur auf den Zeitpunkt, um diesen Bastarden, die sich Richter nennen und bis zum heutigen Tag jeden idiotischen Befehl ausführen, das alles zu präsentieren. Das sind alles Marionetten, die weder von der Verfassung noch von Gesetzen geleitet werden“, bschreibt Jan emotional und ohne Umschweife seine Beziehung zu dem Rechtssystem.
Am 5. Januar wurde der 84jährige Jan Grib aus seiner Wohnung auf eine Polizeistation gebracht. Dort wurde ein Protokoll gemäß Artikel 23.24 angefertigt, „Verstoß gegen die Ordnung von Organisationen oder Abhaltung von Massenveranstaltungen“. Danach ging die Sache vor Gericht. Aus Protest gegen die ungerechten und ungesetzlichen Handlungen der Polizei und Richter verzichtete er darauf, an der Gerichtsverhandlung teilzunehmen.
Während Jan Grib auf dem Flur wartete, verhängte der Richter eine Geldstrafe in Höhe von 1160 Rubeln (umgerechnet 372 Euro) gegen ihn. Die Summe ist wesentlich höher als seine Rente.
„Was Lukaschenko als Rente bezeichnet, ist ein Almosen. Damit werde ich niemals die Strafe für die Kundgebung in der Nähe des Komarowski-Marktes bezahlen können (rund 560 Euro, Anm. d. Red.). Doch Menschen haben geholfen, unsere Menschen, diese mitfühlenden und wohlwollenden echten Belarussen. Dank ihnen hatte ich keine großen Probleme, um für die Strafen aufzukommen“, sagt er über die Ereignisse vom Oktober 2020.
Als Jan Grib eine Strafe einmal nicht fristgerecht zahlte, streckte die Staatsmacht sogleich die Hand nach seinem Eigentum aus. Nach Veröffentlichungen in den Medien wurde die Strafe des Rentners in zwei Tagen von Belarussen, denen sein Schicksal nicht gleichgültig war, beglichen.
Jan Grib hat gesagt, dass er auch weiterhin gegen die Enschränkung seiner Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit Beschwerde einlegen werde, weil das gesetzeswidrig sei.
Vor kurzem wurde eine registrierte Schrotflinte des „alten Fuchses“ eingezogen. „Ein Milizionär hat mir gesagt: Entschuldigen Sie, Herr Jan, aber ich muss Ihnen Ihre Waffe abnehmen. Es gibt einen Befehl von ganz oben, in unserer Region Waffen von 78 Jägern zu beschlagnahmen. Und das zuallererst bei Jan Grib.“
Hat Alexander Lukaschenko tatsächlich Angst, dass ein Ruheständler, der praktisch sein Vater sein könnte, die Jagdsaison nicht im Wald eröffnet? Übrigens hat der russische Skandaljournalist Andrej Karaulow, der auch mal zu der politischen Elite gehörte, unlängst über Lukaschenko gesagt: „Ein Präsident kann ein Idiot oder Kannibale sein, aber er sollte sich nicht lächerlich machen.“
Aus dem Russischen Barbara Oertel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!