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„Wir nutzen die Zeit, um gründlich auszumisten“

Kommunalkinos belastet die Pandemie finanziell nicht so sehr. Was fehlt, ist aber der Kontakt zum Publikum. Deswegen stecken Holger Tepe und sein Team in Bremen viel Energie in Streaming-Tipps

Vom Kommunalkino diese Woche empfohlen: Die Comic-Verfilmung „Endzeit“ von Carolina Hellsgård läuft auf Arte Foto: Anke Neugebauer/ Farbfilmverleih

Interview Marie Gogoll

taz: Herr Tepe, was macht das Erlebnis Kino aus?



Holger Tepe: In einem großen dunklen Raum mit fremden Menschen gemeinsam ein Erlebnis zu teilen. Das gibt es so sonst nirgendwo. Wer ins Kino geht, setzt sich außerdem mit Themen auseinander, die auch an anderer Stelle in der Gesellschaft auftauchen. Die Menschen können mitreden und sich austauschen.



Hat das City46 Wege für das Publikum gefunden, dieses Erlebnis während des Shut-downs irgendwie zu kompensieren?



Das Erlebnis an sich fehlt natürlich. Aber schon beim ersten Lockdown im März haben wir uns gefragt, wie wir unserem Publikum etwas mitgeben können, um durch die kinolose Zeit zu kommen. Da kamen wir auf die Idee, jeden Donnerstag Filmtipps zu veröffentlichen. Die gibt es über unseren Mitgliederverteiler oder auf der Website. Mittlerweile ist das schon fast zu einer richtigen Institution geworden, damit haben wir damals im März nicht gerechnet. Wir sind jetzt schon beim 26. Tipp!



Das Angebot kommt also gut an?


Auf jeden Fall. Viele Leute sagen uns, dass sie sich auf unsere Empfehlungen freuen. Dadurch, dass es jeden Donnerstag neue gibt, ist das sogar ein kleines bisschen wie der richtige Kinobetrieb. Wir schreiben außerdem immer dazu, warum uns gerade dieser Film so gut gefällt. Ich glaube, diese persönliche Ansprache ist ein ganz wichtiges Mittel, um das Band zwischen dem Publikum und uns aufrechtzuerhalten.



Wie kann man sich die Filme, die Sie empfehlen, denn anschauen?

Wir geben an, wo die Streams abzurufen sind. Ursprünglich wollten wir nur Filme empfehlen, die kostenfrei im Internet zu sehen sind, und niemanden zu gebührenpflichtigen Plattformen wie Netflix schicken. Im Einzelfall verweisen wir aber mittlerweile schon auf Filme, die hinter einer Bezahlschranke sind. Dabei achten wir aber darauf, dass auch das Kino profitiert.



Das Kino kann also mit manchen Streams selbst Erlöse machen?

Ja. Seit dem zweiten Lockdown bieten die Filmverleihe vermehrt selbst Filme zum Streamen an. Das kommt daher, dass manche Filme einfach nicht länger in den Verleihen warten können und sie deshalb statt im Kino im Internet Premiere feiern müssen. Einige Verleihe beteiligen daran auch uns Kinobetreiber. Wenn wir einen Film bewerben, bekommen wir dann zum Beispiel 50 Prozent der Streaming-Einnahmen. Dadurch werden unsere normalen Rollen vertauscht: Jetzt rufe ich bei den Filmverleihen an, um zu fragen, wie viele Leute sich einen Film angeschaut haben. Die Einnahmen sind natürlich deutlich geringer als im Normalbetrieb, das Streamen kostet uns aber auch weniger Aufwand.

Hilft Ihnen das, Ihre finanziellen Sorgen zu bekämpfen?


Wir können Einnahmen natürlich gut gebrauchen, aber so groß sind unsere finanziellen Sorgen gar nicht.

Trotz Pandemie?



Maria Nachtwey

Holger Tepe, 64, ist Mitglied der Geschäftsleitung des Bremer Kommunalkinos „City46“, war lange Jahre Leiter des Unabhängigen Filmfest Osnabrück

Ja, als kommunales Kino sind wir momentan finanziell in einer guten Lage. Ein kommunales Kino ist vergleichbar mit einem Stadttheater: Wir arbeiten nicht profitorientiert, sondern sind kulturgesellschaftlich ausgerichtet. Rund die Hälfte unserer Mittel bekommen wir von der Kulturbehörde. Und die hat sich wirklich gut um uns gekümmert, sogar angeboten, bei finanziellen Defiziten noch weiter auszuhelfen. Anders als bei vielen sonstigen Hilfen geht das in Bremen auch sehr schnell und unkompliziert. Bei den Hilfen vom Bund sieht das ganz anders aus. Wir haben jetzt gerade mal einen Teil der Novemberhilfen bekommen.

Trotzdem haben sie keine Existenzängste?



Nein. Wir mussten auch niemanden kündigen oder in Kurzarbeit schicken. Wenn das Kino geschlossen ist, haben wir zwar keine Einnahmen, wir haben aber auch weniger Ausgaben. Wir müssen ja zum Beispiel keine Filme bezahlen und die Energiekosten sind viel geringer.

Bleibt das zweite große Problem im Lockdown: Die Langeweile. Wie gehen Sie damit um?



Eigentlich haben wir genauso viel zu tun wie immer. Für die Stimmung ist es wichtig, Dinge zu finden, die einen sinnvoll beschäftigen. Natürlich sind wir traurig, dass wir als Kultureinrichtung nicht das tun können, was wir sonst für die Menschen machen. Deshalb machen uns die Filmtipps so viel Freude. Wir nutzen außerdem die Lockdown-Zeit, um gründlich auszumisten. Und das macht auch irgendwie Spaß. Wir können in Ruhe die Archive und Lagerräume aufräumen, bei einem alten Filmplakat gab es dann zum Beispiel neulich direkt eine schöne Erinnerung. Dann gibt es noch Reparatur- und Sanierungsarbeiten und auch die Finanz- und Programmplanung pausiert ja nicht.

Sie planen trotz Pandemie ein festes Programm?

Ich habe für jeden Monat ein Programm gemacht und plane auch weiter in die Zukunft. Das ganze Kino ist eigentlich im Stand-by-Betrieb und könnte jederzeit hochgefahren werden. 



Wie schaffen Sie es, so positiv mit der Situation umzugehen?

Natürlich bedrückt mich jeder Monat, in dem unser Kino geschlossen ist. Aber ich freue mich jetzt schon darauf, wenn das, was wir machen, wieder vor Publikum stattfindet. Diese Freude trägt mich, sie ist größer als die Sorge.

„Wir stellen unszum Beispiel die Frage,ob es auch generell möglich wäre, als Kino mit Filmstreams zu arbeiten“

Was waren denn die Höhepunkte im vergangenen Jahr?

Davon gab es einige. Anfang März hatten wir Ulrike Ottinger zu Gast, als sie mit ihrem neuen Film „Paris Calligrammes“ auf Tour war. Sie persönlich kennenzulernen und ein Filmgespräch zu führen, war für mich ein Highlight. Auch die Premiere von „Boot un Dood“, einem plattdeutschen Krimi, war sehr besonders. Wir haben daraus eine Premiere in drei Teilen gemacht, weil sie mit verringerter Zuschauerzahl stattfinden musste. Jeden Tag waren dann der Regisseur Sandro Giampietro und verschiedene Leute aus dem Filmteam dabei. Auch, dass wir trotz aller Einschränkungen im letzten Jahr zwei Festivals veranstalten konnten, ist für mich ein Highlight.

Haben Sie Sorge, dass die Pandemie den Kinos langfristig schadet?



Ich bin überzeugt, dass kommunale Kinos weiter ihren Platz in unserer Gesellschaft haben werden. Es wird nach der Pandemie Menschen geben, die sich freuen, wieder gemeinsam an diesem Ort zusammenzusitzen. Trotzdem müssen sich Kinos überlegen, wie sie inhaltlich, programmatisch und vielleicht auch architektonisch auf einen gesellschaftlichen Wandel reagieren. Dafür können wir von der Pandemiezeit lernen. Wir stellen uns zum Beispiel die Frage, ob es generell möglich wäre, als Kino mit Filmstreams zu arbeiten.



Nutzen Sie die Zeit, um Formen für die Zukunft des Kinos auszutüfteln?

Aber natürlich! Die kommunalen Kinos sind untereinander im Austausch. Dass es aktuell so viele Fördergelder für Investitionen, Umbauten und Konzeptionen gibt, verbreitet eine Aufbruchsstimmung. Durch den Stand-by-Betrieb haben wir Ressourcen, kreativ zu werden.

Aktuelle Streaming-Tipps vom Bremer Kommunalkino City46:

Endzeit, D 2018, R: Carolina Hellsgård, mit Gro Swantje Kohlhof, Maja Lehrer, Trine Dyrholm, 83 Min., Streaming auf www.arte.tvDie unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne, Dk 2017, R: Amalie Næsby Fick, Jørgen Lerdam & Philip Einstein Lipski, Animation, 76 Min., auf www.kika.de

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