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„Die etwa 1.000 Sportler vorziehen“

Reinhard Merkel möchte, dass Olympia-Athlet*innen bevorzugt geimpft werden. Die Spiele seien von großer gesellschaftlicher Relevanz und Mahnung zum globalen Frieden. Gegenargumente seien Stammtischpolitik

Zeppelin Universität Friedrichshafen

Reinhard Merkel

70, ist emeritierter Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Uni Hamburg. Er hat 1968 als Schwimmer an den Olympischen Spielen in Mexiko teilgenommen.

Interview Marie Gogoll

taz: Herr Merkel, warum haben Sie sich öffentlich dafür ausgesprochen, Olympia-Sportler*innen bevorzugt gegen Corona zu impfen?



Reinhard Merkel: Die bevorzugte Impfung ist natürlich nur sinnvoll, wenn klar ist, dass Geimpfte nicht mehr ansteckend sind. Das wissen wir derzeit noch nicht. Und die Hochgefährdeten müssen zunächst geimpft sein. Dann sollte man aber die etwa 1.000 Sportler vorziehen. Niemand aus der restlichen Bevölkerung würde dadurch benachteiligt, müsste auch nur Stunden länger auf die eigene Impfung warten.

Warum dann ausgerechnet die Olympia-Athlet*innen?

Aus zwei Gründen. Die Athleten haben Verzicht, Quälerei und Leid jahrelangen Trainings auf sich genommen. Das sinngebende Ziel solcher Entbehrungen sind die Spiele. Würden sie gestrichen, weil sie mit ungeimpften Athleten zum globalen Superspreading-Ereignis werden könnten, dann kämen die Sportler um den Ertrag ihrer jahrelangen Anstrengung.

Gerade müssen doch alle zurückstecken.

Eine zweite Chance wird es für viele nicht geben. Es geht aber, zweitens, nicht einfach um egoistische Ziele. Es geht auch um die Bedeutung der olympischen Idee. Sie ist Sinnbild und Projektionsfläche vieler ­anthropologischer Bedürfnisse, Neigungen und Sehnsüchte: der körperlichen Ästhetik, der Perfektion menschlicher Fähigkeiten, der Wettbewerbsnatur des Menschen unter dem Ideal des Fairplay – viel mehr noch wäre hier zu sagen. Und schließlich war Olympia seit seinem Ursprung in der Antike stets auch eine Zeit des Schweigens der Konflikte: Mahnung zum globalen Frieden.



Was nutzt das dem Durchschnittstypen, der sich nicht sehr für Sport interessiert?



Nun ja, vielen sind die Spiele egal, sicher. Aber ich rede von grundlegenden Perspektiven des Menschseins. Sie sind der tiefere Grund dafür, dass kein anderes Ereignis weltweit so viel enthusiastische Teilnahme auf sich zieht wie die Spiele. Diese singuläre Dimension des olympischen Sports zu bewahren, ist ein globales Anliegen.



Hätte das Olympische Komitee die Spiele dann nicht gleich auf 2022 verschieben sollen?



Vielleicht. Aber in der aktuellen Diskussion hilft uns das nicht.

Der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach (SPD) spricht davon, dass es das falsche Signal sei, Sportler*innen bevorzugt zu impfen. Er befürchtet, dass viele Menschen das nicht verstehen würden.

Das ist Stammtischpolitik. Wer anderen Vorteile missgönnt, selbst wenn sie die eigene Situation nicht im Mindesten verschlechtern, mobilisiert ein Neidargument. So etwas sollte Lauterbach nicht unterstützen. Er sollte den Leuten erklären, warum sie nicht benachteiligt werden und welche guten Gründe es gibt, die Athleten bei der Impfung vorzuziehen. 



Vielen Ländern steht weniger Impfstoff zur Verfügung als Deutschland. Dort würde das Vorziehen der Athlet*innen die restliche Bevölkerung also doch benachteiligen …


Ja, das ist ein Problem. Es könnten auch neue internationale Asymmetrien im Hochleistungssport entstehen. Das sind Anschlussfragen. Auch sie müssten diskutiert werden.

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