Erst mal nur gut eingepackt

Eine alte Brauerei im Friedrichshainer Nordkiez steht seit neun Jahren völlig leer – und vergammelt immer mehr. Nach häufigem Eigentümerwechsel könnte es im Sommer zu einem Start von Baumaßnahmen kommen. Ein Künstlerkollektiv hofft auf Wiedereinzug

Ein Blick durchs seit Langem verschlossene Tor der ehemaligen Brauerei an der Landsberger Allee im Friedrichshainer Nordkiez Fotos: Wolfgang Borrs

Von Jonas Wahmkow

Fast sieht es so aus, als würde sich endlich etwas an der alten Patzenhofer Brauerei an der Landsberger Allee/ Ecke Richard-Sorge-Straße tun. Ein prägnantes Eckgebäude mit roter Klinkerfassade, über die Jahrzehnte verwittert und mit Graffiti-Tags übersät, ist nun verdeckt von einem bis zum Dach reichenden Baugerüst, blickdicht verpackt mit Plastikbahnen.

Ob der aktuelle Eigentümer Investa den bald neun Jahre andauernden Leerstand beenden wird, ist allerdings noch nicht sicher. Aber auch im Falle eines baldigen Umbaus schwindet bei den Künstler*innen des Kollektivs LA54 die Hoffnung, nach dem Umbau wieder in die Brauerei ziehen zu können.

Kino weg Während der Baubeginn bei dem Brauereigebäude noch auf sich warten lässt, ist der Abriss des Gebäudekomplexes mit dem ehemaligen UCI-Kino und einigen Geschäften auf dem Nachbargrundstück schon in vollem Gange und neigt sich bereits dem Ende entgegen. Das Kino stellte den Betrieb schon 2018 aufgrund von mangelnder Profitabilität ein, dabei musste für den Neubau des Kinos 1998 ein großer Teil des Brauereigeländes weichen. Nun will hier die Centrum Gruppe 15.000 Quadratmeter Bürofläche in „ansprechender Klinker-Glas-Optik“ errichten. Dafür soll im Erdgeschoss auch eine Kita entstehen. (jowa)

Bei dem Baugerüst handelt es sich vorerst nur um eine verordnete Maßnahme zum Erhalt der denkmalgeschützten Bausubstanz, wie sowohl das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg als auch für das Projekt gegründete Investa Tochter Patzenhofer GmbH auf taz-Anfrage bestätigten.

Auch einen Bauantrag gibt es bisher nicht, eine Einreichung wird aber für Februar angestrebt, sagt Projektleiter Michael Alert der taz. Derzeit befinde man sich noch in einem Abstimmungsprozess mit dem Bezirksamt, der allerdings durch Corona etwas verzögert wurde. Im Sommer sollen die eigentlichen Baumaßnahmen dann beginnen, so Alert.

Darüber, was zukünftig auf dem Gelände der 1856 errichteten ehemaligen Brauerei entstehen soll, schweigt sich der Eigentümer mit Verweis auf die noch andauernden Abstimmungsprozesse aus. 2019 hatte Investa gegenüber dem Bezirksamt noch angekündigt, 10 Prozent der Fläche für unkommerzielle Nutzungen bereitstellen zu wollen, möglicherweise auch Ateliers. Besonders interessant ist diese Frage für das Kunstkollektiv LA54. Von 2006 bis 2012 nutzten die Kunstschaffenden diesen Teil der alten und weitläufigen Brauerei, die nach der Wende ihren Betrieb einstellte, als Atelier, Veranstaltungs- und teilweise auch Wohnort. Eigentlich hofften sie darauf, nach dem Umbau in das Gebäude zurückkehren zu können.

Was dort alles entstehen soll? Der Eigentümer schweigt

Auch das Bezirksamt weiß nichts Aktuelleres: „Ob 10 Prozent des Geländes für nichtkommerzielle Nutzungen verbleiben, kann das Bezirksamt derzeit nicht beantworten, da für einige Flächen keine Nutzungsangaben vorlagen“, so Florian Schmidt, Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzbergs. „Es ist dem BA auch nicht bekannt, ob die Werkstätten für Kunsthandwerk als Flächen für nichtkommerzielle Nutzungen gedacht sind und ob diese dem Künstlerkollektiv LA54 angeboten werden.“

Die Künstler*innen suchten über die Jahre immer wieder das Gespräch mit dem Eigentümer, aber wenig erfolgreich. „Richtige Verhandlungen kann man das nicht nennen“, fasst LA54-Sprecher Gustav Kleinschmidt die wenigen Gespräche mit Investa-Vertretern zusammen. „Es gibt bisher nur mündliche Absprachen“, so Kleinschmidt, „es ist noch völlig unklar, ob Investa Kunst ansiedeln will.“ Auch eine weitere Zwischennutzung sei ihnen nicht gewährt worden, beklagt Kleinschmidt.

Nach dem Verkauf des Geländes 2011 plante der neue Eigentümer, das 3.000 Quadratmeter große Areal zu entwickeln. Kurz darauf musste das Kollektiv das Gelände aufgrund von Brandschutzmängeln verlassen. Nach einem weiteren Verkauf an den Investor Achatz von Oertzen verhandelte das Kollektiv über eine weitere Nutzung des Gebäudes.

In ein paar Tagen ganz abgerissen. Reste des ehemaliges Großraumkinos an der Landsberger Allee neben der alten Brauerei

Nach Umsetzung der Brandschutzmaßnahmen sollte die Zwischennutzung fortgeführt und nach dem Umbau ein Teil des Gebäudes dem Kollektiv zum Selbstkostenpreis zur Verfügung gestellt werden. In Absprache mit dem Bezirksamt wurde ein neuer Bebauungsplan entwickelt, der auch Wohnungen und Kitas vorsah. Doch zu einer Umsetzung kam es nie. Stattdessen wechselte der Eigentümer etliche weitere Male, meist über steuervermeidende Share Deals. 2017 schließlich erwarb die Investa GmbH die Liegenschaft. Von alten Absprachen wollte Investa nichts wissen und kehrte lieber zu dem alten Bebauungsplan zurück, der vor allem gewerbliche Nutzungen wie Büros, Hotels und Gastronomie ermöglicht.

Mit diversen künstlerischen Aktionen versucht das Kollektiv seit Jahren, auf das Problem des Leerstands aufmerksam zu machen. Zuletzt besetzten sie im Sommer 2019 Teile des Geländes, richteten Wohnungen für Obdachlose ein, errichteten ein Backsteinhaus im Hof und eine Kunstinstallation in der Bierhalle. Nach wenigen Tagen räumte die Polizei nach Aufforderung von Investa, allerdings ohne richterlichen Beschluss.

taz-Serie Die meisten Geschichten enden nicht einfach, nachdem in der taz darüber ein Text erschienen ist. Deshalb fragen und haken wir bei ProtagonistInnen noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich?“ rund um den Jahreswechsel 2020/21 erzählen wir einige Geschichten weiter. Alle Texte sind online auf taz.de/berlin nachzulesen. (taz)

Gegen die Räumung reichte Kleinschmidt Klage ein. Das Gericht kam in einer ersten Verhandlung im Oktober 2020 zu keinem Ergebnis und beraumte einen weiteren Termin an. Wann genau, steht aufgrund der Pandemie allerdings noch nicht fest. Kleinschmidt wertet das Ergebnis zumindest als Teilerfolg: „Wir hoffen, so für die Aufklärung von selbst ermächtigten Räumungen einen Beitrag zu leisten.“

Die Künstler*innen setzen indes ihr mit der Besetzung angefangenes Projekt auch ohne die Brauerei fort. In dem Projekt „Die Schlichthäuser“ errichten Mitglieder seit Anfang des Jahres mit auf der Straße lebenden Menschen zusammen einfache Häuser auf Rädern. In einigen setzten Kollektivmitglieder coronakonforme Kunstformate um, in anderen können obdachlose Menschen schlafen und wohnen. Dabei handelt es sich diesmal um ein offizielle angemeldetes und gefördertes Projekt. „Damit setzten wir uns weiterhin mit Stadtentwicklung, Obdachlosigkeit und Leerstand auseinander“, erklärt Kleinschmidt, „aber diesmal direkt auf der Straße.“