piwik no script img

Zank um die Impfstoff-VerteilungEuropa trägt keine Schuld

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Es war richtig, dass ein Großteil des Impfstoffs zentral von der EU geordert wurde. Nur das ermöglicht eine faire Verteilung.

Italienische Pflegerin mit Biontech-Impfstoff Foto: Alessandra Tarantino/ap

W enn es nur sehr begrenzte Mengen eines Stoffs gibt, auf den die ganze Welt scharf ist, dann führt das zu einer Verknappung. Nichts anderes ist beim Corona-Impfstoff der Fall, der global Mil­lio­nen Leben retten kann, dessen Menge derzeit aber nicht ausreicht, um sofort in Millionen Dosen in Deutschland gespritzt zu werden.

Ein solcher Mangel führt zu Schuldzuweisungen. Weil ein Großteil der Bestellungen dieses Impfstoffs über die EU erfolgt ist, so die einfache Schlussfolgerung, muss Brüssel auch verantwortlich für diesen deutschen Missstand sein. Doch diese Logik ist falsch und gefährlich.

Tatsächlich konnte im Herbst, als die Bestellungen erfolgt sind, niemand ­wissen, welcher Impfstoff als erster eine Zulassung erhalten wird. Die EU hat also weise gehandelt, als sie bei verschiedenen Herstellern Vorbestellungen getätigt hat. Von den Kritikern, die jetzt neunmalklug behaupten, es sei schon früh absehbar gewesen, dass Biontech dieses Hasenrennen gewinnen würde, war damals im Herbst seltsamerweise kein einziges Wort zu vernehmen. Aber hinterher ist man bekanntlich immer klüger.

Zweitens war es eine richtige Entscheidung, dass ein Großteil des Impfstoffs zentral von der Europäischen Kommission geordert wurde. Wenn Ressourcen knapp sind, buhlen in aller Regel viele Nationen darum, sei es um Wasser, um Rohstoffe oder um medizinische Produkte. Es sind deswegen schon Kriege geführt worden. In ärmeren Ländern wie Peru oder Chile werden die Menschen noch lange – viel zu lange – darauf warten müssen, dass sie mit Impfstoff versorgt sind.

Wir brauchen keinen Corona-Chauvinismus

Man stelle sich nur einmal vor, welche nationalen Gefühlsaufwallungen in Warschau aufgekommen wären, wenn das reichere Deutschland dem ärmeren Polen den Impfstoff vor der Nase weggekauft hätte. Man möge bedenken, welche Folgen es für den Staatenbund gehabt hätte, wenn 27 Nationen um einen Impfstoff gekämpft hätten. Europa ist schon genug mit engstirnigen Nationalismen geschlagen, da brauchen wir keinen Corona-Chauvinismus.

Drittens sind die Bundesdeutschen die Letzten, die sich über den EU-Ankauf des Impfstoffs beschweren können. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist bekanntlich Deutsche. Die EU wurde zum Zeitpunkt des Kaufs von einer deutschen Ratspräsidentschaft geführt, mit Jens Spahn als Vorsitzendem des EU-Gesundheitsrats. Wenn es also so sein sollte, dass Europa zu wenig von dem einen und zu viel von dem anderen Impfstoff gekauft haben sollte, dann sind es zuallererst die Deutschen, die dafür Mitverantwortung tragen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • "Euroüa trägt keine Schuld". Zunächst sollte es wohl richtig heissen "EU trägt keine Schuld", natürlich auch nur dann, wenn man wesentliche Fakten ausblendet, die hier bereits vom Kommentator Dr. Peter Goretzki beschrieben wurden.

  • Der Artikel ist in sich einfach nicht schlüssig, denn die EU hätte als Ganzes bestellen und dennoch weiter diversifizieren können. Das heißt, auf alle(!) Hersteller zu setzen!



    Das hat sie aber nicht gemacht, sondern sich die billigsten Hersteller rausgepickt, um Geld zu sparen, was uns jetzt aber viel teurer zu stehen kommt.

    Im Sommer 2020 gab es schon die ersten Meldungen in der Presse, dass BioNTech und Moderna wahrscheinlich das Rennen um den ersten zugelassen Impfstoff machen. Nicht nur wegen der Geschwindigkeit, sondern auch aufgrund der ersten, vielversprechenden Ergebnissen!

    Die EU hat mal wieder ihr Vertrauen verspielt und das kann durchaus demokratiegefährdend werden, wenn sich BürgerInnen wieder nach einer starken Hand sehen, weil sie absolut inkompetent sind.

    Erst heute las ich wieder, dass man mit dem BioNTech-Impfstoff pro Flasche 6 Impfungen verabreichen kann, die EU-Verordnung aber nur 5 erlaubt. - Auch dies ist exemplarisch für die schnarchlangsame und inkompetente EU-Politik.

  • Doch, die Politik hat völlig versagt, was allerdings nichts mit der EU zu tun hat.

    Man hätte selbstverständlich parallel von jedem einzelnen Impfstoff spätestens nach erfolgreichen Abschluss der Phase 2 genug für die gesamte EU bestellen und die Produktion so schnell als möglich hochfahren müssen. Das hätte die Kosten des Impfprogramms um vielleicht 50 Mrd erhöht - eine lächerliche Summe im Vergleich zu den Kosten der Lockdowns oder den 1,85 Billionen des EZB-Notprogramms. Und neben der Reduktion des ökonomischen Schadens hätten wir früher unsere Grundrechte zurückbekommen, und weniger Tote hätte es auch gegeben.

  • Doch, die EU hat Schuld auf sich geladen.



    Bereits im Herbst war erkennbar, welche Impfstoffe aufgrund der Studienlage kurz vor der Zulassung stehen und welche nicht. Ungeachtet dessen hat die EU, große Mengen des Impfstoffs bestellt welcher, frühestens Ende 2021 eine Zulassung erhalten bzw. geliefert werden kann kann.



    Es ist auch kein „Corona-Chauvinismus“ wenn der Rest der Welt außerhalb der EU schneller und umfangreicher mit Impfstoff bedient wird, weil sich die EU erst im Herbst dazu durchringen konnte Impfstoff zu bestellen, allerdings nicht in den von Moderna und BioNTech/Pfizer angebotenen Mengen. Und wir müssen natürlich zurücktreten damit „In ärmeren Ländern wie Peru oder Chile“ nicht etwa der bereits verfügbare russische, chinesische oder indische Impfstoff eingekauft wird.



    Dass hier deutsche Politiker in erheblichen Ausmaß ein Mitverschulden trifft ist allerdings unbestritten.

    • @Peter Goretzki, Dr.:

      Leider ist es so, wie sie schreiben. Hier hat sich die alles lähmende EU mal wieder als Hemmschuh ausgewirkt und wird Wasser auf den Mühlen von EU-Gegnern sein.