corona in bremen: „Der Mensch selbst ist wie eine Seuche“
Ronald Philipps, 53, ist Digitalkünstler und gelernter Bildhauer.
Interview Sophie Lahusen
taz: Herr Philipps, Sie haben für die aktuelle Open Air Galerie Landschaften des Bürgerparks während des ersten Lockdowns fotografiert und nachträglich zu Frostlandschaften bearbeitet. Was war Ihre Idee dabei?
Ronald Philips: Das ist eine emotionale Geschichte: Der Lockdown kam, und ich wollte eigentlich ein anderes Projekt für das Künstlerhaus Ausspann machen, ein Integrationsprojekt. Das stand dann auf einmal vor dem Aus, und das war so ein Schock, so ein „frösteliches“ Gefühl. Man stellt sich Fragen: Wie geht es weiter? Muss ich in die Privatinsolvenz? Diese erste Zeit war einfach sehr hart und ich bin immer wieder durch den Bürgerpark gegangen, wie viele, weil es ja das Einzige war, was man machen konnte und diese Lebendigkeit des Parks ist stehengeblieben. Es gab so einen Stillstand, wie eingefroren, wie ein Winterschlaf, wie ein Bär in der Höhle und diese Ruhe, diese Erschöpfung, der Moment der Hilflosigkeit, das hatte so etwas Frostiges. Eigentlich war Frühling, alles blühte, aber gefühlt war Herbst oder Winter.
Für viele war diese Zeit auch mit Existenzängsten und einem Gefühl der Aufgewühltheit und der inneren Hektik verbunden. Das würde doch im Gegensatz zum „Eingefrorensein“ stehen?
Ja, diese Hektik war da, aber man konnte sie nicht ausleben. Auch die Existenzängste waren da, aber man musste sich vor allem solidarisch erklären. Kulturstätten waren geschlossen und dem musste man sich hingeben. Das ist eine Art von sozialer Kälte, ein so schwieriger Moment, wie eine Schockstarre und da hat mir die Arbeit im Atelier sehr geholfen, etwas aus diesen grünen Landschaftsbildern zu machen.
Sie sprechen von der sozialen Kälte – wieso dann trotzdem die Natur als Motiv?
Weil Corona ganz klar auch ein Signal der Natur ist. Es ist die Natur, die uns jetzt ausbremst. Es sind diesmal nicht wir Menschen, die eine Kriegssituation oder eine finanzielle Notsituation geschaffen haben, sondern die Natur fordert ihren Tribut und sagt Stopp.
Wieso ist es Ihnen als Künstler wichtig, sich mit Corona auseinanderzusetzen?
Für mich bedeutet das ganz klar, sich mit sozialen Missständen auf der Welt auseinanderzusetzen. Ich vergleiche das, was der Virus momentan mit der Welt macht, gerne mit dem, was der Mensch mit der Welt macht. In den 80ern gab es einen Witz: „Treffen sich zwei Planeten, sagt der eine 'Wie geht’s dir?’, antwortet der andere 'Ich hab den Menschen’.“ Der Mensch selbst ist wie ein Virus, wie eine Seuche und damit versuche ich zu spielen. Um Menschen vielleicht anzustupsen, dass wir nicht besser sind als der Virus. Wie er wollen wir auch nur überleben und machen durch unsere Existenz vieles kaputt. Der Virus will uns benutzen, um zu überleben und für dieses Gleichgewicht, wie wir uns schützen können, haben wir noch keine Lösung gefunden. Ich denke da gibt es eine große Fehleinschätzung der Menschen über die Situation.
Open Air Galerie „Der erste Frost“, Stefaniekirchweide 19, Überseeinsel, voraussichtlich bis Ende des Jahres
Denken Sie, die Menschen haben momentan schon eine Bereitschaft, sich mit Kunst und Kultur zum Thema Corona zu beschäftigen?
Ich denke, aktuell wollen viele da noch nicht reflektieren. Für mich ist diese Open Air Galerie einfach ein Angebot an Kultur und nicht ein Angebot an Auseinandersetzung mit Corona. Es geht vor allem darum, einen Begegnungsort und eine Kulturstätte zu schaffen, unter Corona-Bedingungen. Ich gebe da mit meinen Bildern nur ein Startsignal.
Wie sieht die Open Air Galerie aus?
Auf dem ehemaligen Kellogg’s-Gelände in der Überseestadt haben wir entlang einer langen Lagerhalle 15 große Banner angebracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen