Shopping in Berlin vor dem Lockdown: Ihr Kund*innen kommet
Der große Run vor dem Lockdown blieb erst einmal aus. Um so mehr schwitzen die Paketboten. Für sie dürfte es noch schlimmer kommen.
Von Hamsterkäufen oder langen Warteschlangen vor Geschäften ist auf der Einkaufsmeile zwischen Neukölln und Kreuzberg am Tag nach der Ankündigung erneuter Schließungen im Einzelhandel noch nichts zu sehen. Fast alle Passant*innen hier tragen vorschriftsmäßig Maske, man geht sich höflich etwas aus dem Weg – Platz zum Abstandhalten ist genug. Nur vor dem Pfandhaus und der Apotheke nebenan warten ein paar Menschen, es dürfen aber auch nur jeweils zwei Kund*innen hinein.
Bei Karstadt am Hermannplatz hat man anders als in den vergangenen Tagen am Montag damit aufgehört, die eintretenden Kunden zu zählen. Doch auch hier gibt es nur in der Bücherabteilung Gedränge – obwohl Buchläden ab Mittwoch gar nicht schließen müssen. Auch in der Spielzeugabteilung ist die Käuferzahl gegenüber den Vortagen leicht erhöht. Eine richtig lange Schlange steht aber nur vor dem Postschalter im Erdgeschoss des Warenhauses, viele der Wartenden mit Paketen unterm Arm.
Nebenan bei Bauhaus an der Hasenheide, das diesmal wie alle Baumärkte auch ab Mittwoch schließen muss, gibt es dagegen keine langen Warteschlangen an den Kassen. Professionelle Handwerker holen noch schnell bestellte Ware ab, doch die Heimwerker scheinen ihre Werke schon beim letzten Lockdown erledigt zu haben.
Dezember ist der beste Monat
Für ihn sei es eine Katastrophe, das Weihnachtsgeschäft zu verpassen, sagt weiter oben am Kottbusser Damm ein türkischer Juwelier: „Der Dezember ist sonst der beste Monat im Jahr!“
Nicht nur deutsche, sondern längst auch türkeistämmige Kund*innen kauften Schmuck als Weihnachtsgeschenke, „und die Türken, die noch nicht Weihnachten feiern, beschenken sich zu Neujahr“ – und gäben dabei oft mehr aus als die Deutschen. Doch das Geschäft sei schon in den letzten Jahren immer schlechter geworden: „Man merkt, dass die Leute kein Geld mehr haben.“
David Mizeras Geschäft dagegen läuft gut: Er verkauft in der Sanderstraße extravagante Second-Hand-Designermode. Seine Boutique „Wsiura“ gehört zu den vielen kleinen Läden, die in den letzten Jahren vor allem in den Neuköllner Seitenstraßen des Kottbusser Damms eröffnet und zum Boom des Stadtteils beigetragen haben. „Das Weihnachtsgeschäft spielt für uns keine so große Rolle“, sagt Mizera, „aber trotzdem ist es natürlich schlecht, dass wir wieder schließen müssen.“ Sein Angebot könne er kaum online verkaufen: „Unsere Sachen muss man anprobieren.“ Er hoffe deshalb, dass es einen finanziellen Ausgleich für die Zeit der Schließung gebe: „Aber bis jetzt haben wir noch nichts gehört.“
Anstehen vor dem Computerladen
Mittags in der Friedrichstraße in Mitte. Radfahrer hasten durch die verkehrsberuhigte Zone. Im Konvoi trotten zwei Obdachlose hinter ihren Einkaufswagen her, in denen die ganze Habe gestapelt zu sein scheint. Einer brabbelt in einer Sprache, die Russisch sein könnte, vor sich hin. In den Geschäften ist wenig los. Nur vor einem Computerladen stehen die Menschen Schlange. Nein, sie wolle keine Weihnachtsgeschenke kaufen, sagt eine Frau. Für ihren PC brauche sie noch ein Ersatzteil.
Und auch vor dem Kaufhaus Dussmann sieht man Menschen anstehen. Die Schlange zieht sich vom Vordereingang um die Ecke bis in die Seitenstraße. „Spread Love Only“, steht an den Schaufenstern. Eine Angestellte, dunkelblauer Hosenanzug, Maske, regelt den Einlass. Immer so viele, wie aus dem Buchladen kommen, dürfen rein. Hatte Kultursenator Klaus Lederer (Linke) am Sonntag bei der Senatspressekonferenz nicht erklärt, die Buchläden in Berlin blieben offen, weil sie die geistigen Tankstellen seien? „Keine Ahnung“, sagt die Angestellte.
Weiter geht es Richtung Prenzlauer Berg. Gefühlt steht alle hundert Meter ein DHL- oder GLS-Transporter in zweiter Spur. Fahrer wuchten mit Sackkarren Pakettürme in Hauseingänge. Online shoppen, bis der Arzt kommt. Fast alle tun es, auch in der Linken-Szene. Die Online-Riesen werden die Gewinner der Pandemie sein und der Mittelstand der Verlierer, so viel ist klar.
Ein Paketbote arbeite zurzeit 10 bis 13 Stunden, sagen Insider. Das Schlimmste komme erst noch. Mittwoch, wenn der Lockdown beginnt, würden die Paketbestellungen erst richtig in die Höhe schnellen. Dass der Einzelhandel sein gesamtes Geschäft in der Woche vor Weihnachten ins Internet verlagere, darauf sei keiner der Paketdienste eingestellt. Schon jetzt sei klar, dass das mit der Lieferung bis Weihnachten eigentlich nicht mehr zu schaffen sei.
Mario Bornschein, Inhaber des auf Outdoor-Equipment spezialisierten Ladens „Der Aussteiger“ – drei Filialen im Berliner Raum – bittet in dem Geschäft in der Danziger Straße ins Hinterzimmer.
In der Nacht zu Montag hat „Der Aussteiger“ eine Mail an die Stammkundschaft verschickt. „Bitte früh oder spät vorbeikommen, um das Ganze zu entzerren“. Der „Worst-Case“ sei eingetroffen, sagt Bornschein. Er mache sein Hauptgeschäft in der Sommerurlaubszeit und zwischen Weihnachten und Neujahr. Da würden die Leute ihre Geldgeschenke in Trekkingmontur und Ähnlichem umsetzen.
Das Erfolgsrezept des „Aussteigers“ sei Beratung – face to face im Laden. Zeit spiele dabei keine Rolle. Und nun? Ab Mittwoch werde das Personal am Telefon beraten, kündigt Bornschein an. Die Bestellungen würden die Verkäufer den Leuten dann persönlich mit dem Rad zu Hause vorbeibringen. „Es geht um unsere Kunden“, sagt Bornschein. „Wir ergeben uns nicht diesem System“.
Ein Kunde, groß, dunkel gekleidet, mit Brille, stellt sich als Medienkünstler vor. Soeben hat er im „Aussteiger“ Thermoklamotten für eine Radtour erstanden. Der Lockdown sei „the best ever“, sagt er und strahlt. Warum? „Weil Weihnachten ausfällt.“
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