Einigung im Abgeordnetenhaus: Parlament ermöglicht Notbetrieb
Verfassungsänderung soll weiter helfen, falls wegen Corona die Hälfte der Abgeordneten nicht mitstimmen kann. Präsident Ralf Wieland ist erleichtert.
Eine Verfassungsänderung soll am Donnerstag dafür sorgen, dass das Parlament auch in einer Notsituation wie der Coronapandemie arbeitsfähig bleibt. Die dafür nötige Mehrheit von zwei Dritteln der 160 Abgeordneten bekommt die rot-rot-grüne Koalition mit den Fraktionen von CDU und FDP zusammen. Kern der Änderung, die nur bis zum Ende der Wahlperiode im Herbst 2021 gilt, ist die Möglichkeit festzulegen, dass das Parlament auch mit nur 40 Mitgliedern beschlussfähig ist. Bisher müssen es 80 sein. Anders als bei einem gescheiterten Anlauf im Frühjahr geht es nicht um ein dauerhaftes Notparlament in Form eines 27-köpfigen Krisenausschusses.
SPD und CDU hatten sich schon im März dafür stark gemacht, einen Notfallmechanismus zu beschließen. Die FDP ging im Kern mit, den Grünen und der Linkspartei aber war eine Verfassungsänderungen zu weitreichend. Zudem sahen sie einen zu großen Eingriff in die Rechte jener unter den 160 Abgeordneten, die nicht dem Notparlament angehören würden.
Im Sommer mit vergleichsweise wenig Neuinfektionen geriet das Thema in den Hintergrund, doch der Coronaverlauf im Herbst ließ die Diskussion wieder aufleben. Käme das Abgeordnetenhaus durch ein Superspreader-Event tatsächlich ohne Notfallregelung zur Hälfte in Quarantäne, wären vorerst keine Beschlüsse möglich – und das trotz der Forderung der Parlamente nach mehr Beteiligung.
Verhandelt wurde die Änderung im Kreis der parlamentarischen Geschäftsführer, quasi den Betriebsleitern der Fraktionen. „Im Frühjahr waren wir der Auffassung, dass man die Verfassung nicht mal so einfach ändern kann“, sagte Steffen Zillich von der Linkspartei der taz. Von seinem Grünen-Kollegen Daniel Wesener hieß es: „Wir haben jetzt die Notwendigkeit gesehen, Vorsorge zu treffen.“
Sicherungen gegen Missbrauch
Beide Politiker hoben die Sicherungsmaßnahmen hervor, die einen Missbrauch des Notbetriebs verhindern sollen: Ein Misstrauensvotum gegen den Regierenden Bürgermeister ist genauso ausgeschlossen wie die Ernennung von Verfassungsrichtern. Beschlossene Gesetze erlöschen, wenn sie nach Ende einer Notsituation nicht binnen vier Wochen bestätigt werden. Und ein Beschluss zum Notbetrieb soll maximal drei Monate gültig sein und eine Vierfünftelmehrheit im Ältestenrat des Parlaments benötigen.
Parlamentspräsident Ralf Wieland (SPD) zeigte sich der taz gegenüber zufrieden mit dem nun gefundenen Kompromiss, der am Donnerstagvormittag im Plenarsaal zur Abstimmung steht: „Ich bin froh, dass sich nunmehr nach langer Diskussion fünf Fraktionen verständigt haben, um die Beschlussfähigkeit des Parlaments im absoluten Krisenfall abzusichern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Nach Hinrichtung von Jamshid Sharmahd
„Warum haben wir abgewartet, bis mein Vater tot ist?“
Strategien gegen Fake-News
Das Dilemma der freien Rede