Die Wahrheit: Das Wunder von Passau
Erst in der Wüste von Utah, dann in Rumänien – nun ist er bei uns angekommen, der Monolith. Mehr zu Deutschlands erstem Block-Star.
Seit den frühen Morgenstunden wächst die Schlange vor dem glänzenden Gebilde unaufhörlich. In der Dreiflüssestadt reihen sich Tausende Passauerinnen und Passauer trotz strenger Ausgangsbeschränkungen abständig ein, um dem statischen Kultobjekt ihre Reverenz zu erweisen. Verbeugungen gibt es, Dankesbekundungen in obskurem rituellen Niederbayerisch und viele, viele Bussis.
„Da links oben hat’s noch eine ungeknutschte Stelle, da versuch ich ranzukommen!“, tut ein hochgewachsener Endsechziger kund und deutet mit seinem zusammengerollten Maskenpflichtbefreiungs-Attest auf den fast vier Meter hohen, massiven Block. Eine benommen wirkende junge Frau applaudiert. „Dieser Monolith ist ein göttliches Zeichen, und wir alle sind hier, um Liebe zu verteilen“, singt sie. „We superspread our love!“, steht auf ihrem mitgebrachten Plakat.
Als der mysteriöse Quader am Abend zuvor von einer Gruppe angetrunkener Männer entdeckt wird, die als Gaudiwurm über den Residenzplatz zieht, da ist das Rätselraten bereits groß. Hängt dieses Happening mit den Erscheinungen in Utah und auf dem rumänischen Berg Batca Doamnei zusammen? Handelt es sich um ein globales Kunstexperiment?
Die Antwort kommt wenig später – auf dem Residenzplatz und vom Monolithen selbst. „Gute Güte, die Menschen halten eben für Kunst, was sie nicht verstehen. Ich bin nur ein verdammter Block auf Weltreise.“ Die Medien nennen ihn inzwischen „Einstein“ – was monólithos auf deutsch ungefähr heißt.
Keine Selfies!
Einstein kostet seinen Ruhm in Passau aus. „Ich steh jetzt eben bisschen hier rum.“ Aus der Nähe bewundern sei „okay – aber keine Selfies!“ Woher der Sinneswandel, nachdem er sich doch in Utah und Rumänien quasi über Nacht aus dem Staub gemacht hat? „Ach, ich war vorher nie so recht zufrieden mit mir selbst, fand mich zu farblos, nicht punktsymmetrisch genug.“ Doch nach seinem Make-over will Einstein jetzt bewusst in die Öffentlichkeit.
Damit ist nun auch offiziell bestätigt, dass es sich bei den Klötzen um ein und denselben handelte. Aber: „Wir wollen nicht Klötze genannt werden, das ist Shape-shaming!“, stellt Einstein felsenfest klar. Auch die Annahme, dass sie eine Entität seien, nur weil sie ähnlich aussähen, sei zumindest problematisch. „Gut“, konzediert er, „in diesem Fall stimmt es halt wirklich …“ Die optischen Anpassungen seien jedenfalls minimal gewesen, nichts, wofür man sich schämen müsste. „Ich wurde minimal gesundgeschrumpft, ein neuer Anstrich war fällig, hier und da hab ich was glätten lassen. Trotzdem hab ich mir Ecken und Kanten bewahrt. I’m still, I’m still Blocky from the Block, haha.“
Humor scheint dem metallischen Quader ohnehin zu liegen. Direkt nach seiner Ankunft in Passau ließ er sich schon zu einem spontanen Stand-up hinreißen: „Stehen tu ich ja eh schon. Aber jetzt soll ich eine Sehenswürdigkeit sein? Das stand nicht in meiner ‚Stelenbeschreibung‘. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte mich verdoppeln – dann wäre ich ein ‚Stereolith!‘“ So ging es Passauer Passanten zufolge stundenlang weiter, bis der geschliffene Entertainer mit einem geschmacklosen Holocaust-Mahnmal-Vergleich aneckte.
Doch Einsteins künstlerischer Anspruch „endet nicht beim Erzählen von Witzen, die älter sind als Stonehenge“, beteuert er. „Ich möchte auch mal in Art brut machen, aber im Sinne von ‚roher Kunst‘ – ich könnte mich zum Beispiel auf eine Hrdlicka-Plastik fallen lassen. Zur Not würde ich sogar Banksy an mich ranlassen. Vielleicht bin ich bei der nächsten Blockumenta in Kassel dabei.“
Keine Kettensägen!
Er schließt also nicht aus, auch andere Ziele in Deutschland anzusteuern? „Warum nicht? Der Danneröder Forst soll nett sein – Kettensägen können mir nix. Oder ich schaue mal in Hannover vorbei und werte die Gegend ästhetisch auf.“ Dass die Reisekasse verebben könnte, das sei momentan kein Thema. Er habe für Elon Musk Modell gestanden, der Einsteins Design für seine kommende Fahrzeugserie verwenden wolle. „Und das habe ich mir großzügig vergüten lassen. Zudem hatte ich Glück mit Bitcoins – dank Rockchain.“
Bleibt die Frage, wo es nun eigentlich ursprünglich herkommt, das „Wunder von Passau“. „Wie, das ist Ihnen nicht klar?“, fragt Einstein verdattert – sofern man das von seiner Oberfläche ablesen kann. „Selbstverständlich haben mich Außerirdische auf der Erde abgesetzt. Haben Sie etwa nicht ‚2001 – Odyssee im Weltraum‘ gesehen?“
Die Bürger von Passau können von ihrem himmlischen Gast jedenfalls nicht genug bekommen. „Monolith for Bundeskanzler!“, fordern die ersten. Ob er sich denn eine politische Karriere vorstellen könne? „Der Weg nach oben soll ja steinig sein – wäre also genau das Richtige für mich. Aber wenn, dann nur in einer Blockpartei.“
Rock on, Großer!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“