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Singles’ Day in ChinaKaufrausch mit Schattenseiten

Der Singles’ Day ist Chinas größtes Shopping-Festival – und eine Belastungsprobe für Millionen Kuriere. Die Rabattschlacht geht auf ihre Kosten.

Der 11.11. ist in China die größte Rabattschlacht. Das geht auf Kosten der Zusteller Foto: AP

Peking taz | Sie sind so etwas wie die wirtschaftliche Herzschlagader der chinesischen Städte: Millionen von Arbeitsmigranten, die als Lieferkuriere auf bunten Electroscootern zu jeder Uhrzeit durch die Straßen düsen. Wang hat bereits vor acht Jahren als Kurier angeheuert. Im ostchinesischen Suzhou fährt er täglich weit über 100 Päckchen aus. Lange Arbeitstage war er schon immer gewohnt, doch mittlerweile, so erzählt es der Lieferfahrer dem chinesischen Magazin Newsweek, ginge die Rechnung nicht mehr auf.

Ein knallharter Wettbewerbskampf habe die Löhne massiv gedrückt. Bekam er früher noch umgerechnet fast 20 Cent pro ausgeliefertem Paket, sind es mittlerweile weniger als die Hälfte. Zudem wurde Wang seit inzwischen zwei Monaten von seinem Arbeitgeber nicht mehr bezahlt: „Wer weiß, ob ich die ausstehenden Schulden überhaupt jemals ausgezahlt bekomme?“, sagt er. Sein Arbeitsvertrag wurde, wie in der Branche üblich, nur mündlich vereinbart. Dabei fangen die anstrengendsten Tage im Jahr für Lieferkuriere wie Wang gerade erst an.

Am 11. 11. zelebriert Chinas Internetimperium Alibaba das weltweit größte Shopping-Festival, bei dem rund 250.000 Konzerne ihre Produktpalette mit „Sonderrabatten“ raushauen. Ursprünglich wurde das Datum mit den vier symbolischen Einsen lediglich von chinesischen Studenten als Antithese zum Valentinstag umgedeutet: Singles haben sich mit kleinen Geschenken über die Einsamkeit hinweggetröstet.

Längst jedoch ist der Singles’ Day zum wichtigen Konjunkturbarometer für die chinesische Wirtschaft avanciert. Ausgerechnet im Coronajahr brechen die Konsumenten in der Volksrepublik sämtliche bisherigen Rekorde. Bis zu 583.000 Bestellungen pro Sekunde trafen bei Alibaba ein. Mehr als 16 Millionen Artikel stehen zur Verfügung, die von über 3.000 Flugzeugen und Cargo-Schiffen angeliefert wurden.

Reizüberflutung sondergleichen

Wer die Alibaba-eigene App Taobao aufruft, erlebt eine Reizüberflutung sondergleichen. Alle paar Sekunden ploppen neue Botschaften in schrillen Farben auf dem Smartphone-Display auf, die alle möglichen Produkte von Sportschuhen über Hundefutter bis hin zu Luxusuhren anpreisen. Wer ein wenig mehr auf der hohen Kante hat, kann auch ermäßigte Immobilien oder Luxusuhren abgreifen.

Der Kaufrausch der Chinesen wurde nicht zuletzt dadurch angefeuert, dass die Wirtschaft im Reich der Mitte nach der erfolgreichen Eindämmung des Infektionsrisikos inzwischen wieder ohne Handbremse hochgefahren wurde. Gleichzeitig fielen in China, das seine Landesgrenzen bis auf wenige Ausnahmen geschlossen hält, Auslandsreisen als Konsummöglichkeit flach.

Gigantische technikaffine Mittelschicht

Warum ein solches „Event“ ausgerechnet im Reich der Mitte so gut funktioniert, darüber gibt eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts Dynata Aufschluss: Demnach fühlen sich in keinem anderen befragten Land die Menschen so zuversichtlich angesichts ihrer finanziellen Situation wie in China.

Und nirgendwo anders sind die Konsumenten derart gewillt, persönliche Daten im Austausch für Produktrabatte hinzunehmen. Gleichzeitig gibt es eine jährlich wachsende, technikaffine Mittelschicht von über 400 Millionen Menschen – mehr als in Japan und den Vereinigten Staaten zusammengenommen.

Unfaire Preisstrategien

Trotz des massiven Umsatzes dürfte die Euphorie in den Chefetagen der Online-Anbieter in diesem Jahr gedämpft sein. Nachdem kürzlich der Rekordbörsengang vom Tochterunternehmen Ant Group in letzter Minute von der staatlichen Finanzbehörde gestoppt wurde, plant die Regierung nun, gegen die Monopolstellung der großen Tech-Firmen vorzugehen.

In einem Dokumententwurf der Marktregulierungsbehörde wird unter anderem kritisiert, dass Internetkaufhäuser wie Alibaba unfaire Preisstrategien verfolgen – also etwa künstlich überteuert oder unter Marktwert.

Nutzerdaten missbraucht

Zudem würden die von den Konzernen exzessiv gesammelten Nutzerdaten dazu missbraucht, jeweiligen Konsumenten unterschiedliche Preise anzubieten. In einer separaten Stellungnahme meldete sich auch Chinas Internetregulierungsbehörde zu Wort: Demnach soll chinesischen Tech-Firmen nicht erlaubt werden, Konsumenten zu „Gefangenen von Algorithmen“ zu degradieren.

Dementsprechend reagierte auch am Mittwoch der Aktienkurs von Alibaba trotz des rekordverdächtigen Kaufrauschs am Singles’ Day – mit einem Einbruch von 9,8 Prozent.

Das milliardenschwere Unternehmen wird die Kursverluste mit seinen Einnahmen vom Singles-Day dennoch leicht kompensieren können. Für Lieferkuriere wie Wang aus Suzhou hingegen bedeutet das Shopping-Festival vor allem 14-Stunden-Schichten – ohne die letztendliche Gewissheit, für die Arbeit auch entlohnt zu werden.

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