: Essen für Alte ohne Gütesiegel
Anbieter von Essen auf Rädern können sich zertifizieren lassen, dass sie Qualitätsstandards einhalten. Nur sehr wenige machen davon Gebrauch
Selina Wachowiak, Vernetzungsstelle Seniorenernährung Niedersachsen
Von Marthe Ruddat
Selina Wachowiak beschreibt es diplomatisch: „Es gibt bei Caterern schon viele gute Beispiele“, sagt sie, „aber natürlich gibt es immer Möglichkeiten zur Verbesserung.“ Wachowiak ist Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaftlerin und arbeitet bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), genauer gesagt in deren Vernetzungsstelle Seniorenernährung in Niedersachsen.
Die Qualität von Essen auf Rädern steht immer wieder in der Kritik. Schon 2010 hat die DGE dazu einen Qualitätsstandard veröffentlicht, aktuell wird er überarbeitet und soll bald neu erscheinen. „Die Umsetzung der Qualitätsstandards ermöglicht eine gesundheitsfördernde Verpflegung und kann zur Steigerung der Zufriedenheit der Gäste führen“, sagt Wachowiak.
Sieben Mal Gemüse, davon mindestens drei Mal Rohkost oder Salat. Maximal drei Mal Fleisch und Wurst und davon mindestens zwei Mal mageres Muskelfleisch. Das sind Beispiele für die in dem Standard formulierten Anforderungen an einen Speiseplan für eine Woche. Dreimal soll es Obst geben, davon mindestens zwei Mal frisch oder tiefgekühlt und ohne Zuckerzusatz. Und mindestens einmal in der Woche sollen Seefisch und Vollkornprodukte auf dem Plan stehen.
Weil aber nicht nur wichtig ist, was angeboten wird, sondern auch, wie es zubereitet wird, nennt der Standard auch Kriterien für die Zubereitung. So sollen Zucker und Salz nur in Maßen verwendet werden, Gemüse und Kartoffeln sollen fettarm und nährstofferhaltend zubereitet, also gedünstet, gedämpft oder gegrillt werden. Frittiertes soll es höchstens drei Mal in der Woche geben. Und damit das Essen nicht matschig wird und Vitamine verliert, sollen die Speisen maximal drei Stunden warm gehalten werden. Mindestens 65 Grad soll warmes Essen bei der Ankunft haben, kalte Speisen sollen maximal 7 Grad haben.
Aber auch an den Kund*innenservice werden gewisse Ansprüche gestellt. Die Kund*innen sollen beispielsweise zu ihren Wünschen und Anregungen befragt werden, der Anbieter soll im Bedarfsfall Hilfestellung bei der Bestellung anbieten.
Caterer und Einrichtungen können sich bezogen auf diesen Standard zertifizieren lassen. Mit Caterern sind die Betriebe gemeint, die das Essen herstellen, sie müssen für ein Zertifikat die Anforderungen an Lebensmittel sowie Speiseplanung und -herstellung erfüllen. Mit Einrichtungen sind die Betriebe gemeint, die das Essen auch zu den Senior*innen bringen. Sie müssen für ein Zertifikat zusätzlich Anforderung an die Auslieferung und den Kundenservice erfüllen. Beide Zertifikate gibt es auch in der Premium-Variante, die gewisse Anforderungen an die Nährstoffe stellt.
„Es wird mindestens eine Menülinie zertifiziert“, erklärt Wachowiak. Für diese Menülinie müssen die Kriterien eingehalten und transparent kommuniziert werden. Sollten sich weitere, nicht zertifizierte Menülinien auf dem Speiseplan befinden, muss die zertifizierte Menülinie entsprechend gekennzeichnet werden.
Aktuell können laut DGE lediglich sieben Caterer und sieben Einrichtungen ein entsprechendes Zertifikat vorweisen. Vier dieser Zertifikate kommen auf Anbieter aus Norddeutschland.
Es ist also nicht ganz so schlimm, wie es auf der Referenzkarte des DGE-Projekts aussieht. Dort sind lediglich zwei Punkte markiert. Die Anbieter müssen einer Veröffentlichung ihrer Daten dort aktiv zustimmen. Zum Vergleich: Ihr Schulessen haben sich demnach 129 Anbieter zertifizieren lassen und einer entsprechenden Veröffentlichung zugestimmt.
Warum aber lassen sich immer noch nur wenige Anbieter von Essen auf Rädern zertifizieren? Über die Antwort kann Selina Wachowiak nur spekulieren. Liegt’s am Preis? Schließlich kostet die Zertifizierung auch Geld. „Bei einigen ist das Budget natürlich ein Problem“, sagt Wachowiak. „Andere sagen, dass die Zertifizierung große Vorteile bringt und gut ist für die Außenwirkung.“
Die niedersächsische Vernetzungsstelle Seniorenernährung hat erst Ende August ihre Arbeit aufgenommen, genau wie die in Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen. Sie sollen die Qualitätsstandards nun bekannter machen und die Ernährungskompetenzen von Senior*innen, Angehörigen und Fachleuten optimieren. Wachowiak hofft, dass dadurch die Qualität der Verpflegung von Senior*innen verbessert wird.
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